Zeitung für den Altkreis Lübbecke / Neue Westfälische ,
19.02.2005 :
"Warum arbeiten die nicht?" / Jugendliche simulieren Streit auf dem Marktplatz / Nur wenige greifen ein
Von Andrea Rolfes
Espelkamp. Fremdenhass auf dem Wilhelm-Kern-Platz: "Ey, Schlampe, was willst Du mit dem Schwarzkopf? Findest Du keinen deutschen Freund?" – "Lass uns in Ruhe!" Barsche Worte folgen, ein Schubser, schließlich fast der Schlag. Die Besucher des Wochenmarktes schauen weg, essen genüsslich ihre Bratwurst. Alltag? Ja, aber diesmal nur vorgetäuscht. Ein Rollenspiel, Teil des Projektes "Zivilcourage", organisiert von der Polizei, dem Ludwig-Steil-Hof und der Stadt.
Die ausländerfeindliche Zänkerei war gespielt, die Reaktionen der Bürger nicht. Die wussten nichts von der seit Wochen geplanten Aktion auf dem Wochenmarkt. Dafür haben die Organisatoren und überzeugende Schauspieler gesorgt.
Es ist 11 Uhr, der Markt ist gut besucht. Eine Großmutter steht mit ihrem Enkel an der Grillbude, ein Herr mit Hut lässt sich das Würstchen schon schmecken. Andere kaufen Gemüse oder plaudern. Vier Jugendliche nähern sich, streiten sich lautstark: "Halt’s Maul, so klein und so eine große Fresse!" schreit Sabli, ein 19-jähriger Kurde. Er verteidigt seine Freundin Tatjana, die zuvor als "Schlampe" beschimpft wurde. Die Wortreiberei spitzt sich zu, Tatjanas Tasche fällt zu Boden, sie selbst weicht zurück, verhindert im rechten Moment die Schlägerei, ruft nach Hilfe. "Jetzt aber mal Ruhe hier", sagt eine ältere Dame eher halbherzig. Ein irritiert guckender Herr hebt die Tasche auf, geht kurz dazwischen: "Ihr wollt doch respektiert werden. So funktioniert Integration nicht." Ein anderer: "Könnt ihr euch nicht woanders streiten?"
Mehr Aufmerksamkeit erregt die Aktion nicht. Die meisten Marktbesucher drehen sich zwar um, schauen zu, eingreifen will aber so recht niemand. Insgesamt mehr Desinteresse als Hilfsbereitschaft.
Bis die Polizei mit Blaulicht auf den Platz fährt, die Jugendlichen aufhören, zu streiten, stattdessen applaudieren – das Zeichen, dass das Rollenspiel vorbei ist. Die Gesichtsausdrücke der Umherstehenden verändern sich abrupt. Sie verraten Verwirrung. Auch der ältere Herr, der genüsslich seine Bratwurst weiter isst, schaut nun interessiert hin. Die Polizei verteilt in Windeseile Flyer: "Wer nichts tut, macht mit" steht in großen Lettern darauf. Das Motto, unter dem das Projekt "Zivilcourage" vor knapp zwei Wochen mit einem Fußballturnier – unterstützt von Arminia Bielefeld – begonnen hatte. "Hinsehen, handeln, Hilfe holen", auch das steht in dem Flugblatt, das mittlerweile fast alle Markbesucher in den Händen halten.
Die Würstchenverkäuferin gibt nach der Auflösung zu: "Ich habe, ehrlich gesagt, gedacht, warum zanken die sich auf offener Straße. Die sollen lieber arbeiten gehen." Obwohl sie von der Echtheit des Streits überzeugt gewesen sei, habe sie nicht daran gedacht, die Polizei zu rufen. Die Aktion findet sie im Nachhinein gut: "Eine tolle Sache, die zum Nachdenken anregt."
So wie die Dame in der Würstchenbude haben die meisten gedacht. "Uns hat keiner gerufen", bestätigt Hansi Walden, Pressesprecher der Polizei, der in Zivil nur im Falle einer Eskalation eingreifen sollte. Sein Kollege Michael Wehrmann vom Kommissariat Vorbeugung aus Minden hätte sich auch gewünscht, dass jemand beherzter eingegriffen hätte: Die Aktion habe aber immerhin zu einer Diskussion angeregt und das Problem in die Öffentlichkeit getragen: "Die Aktion wird erfolgreich sein, weil sie keine Eintagsfliege bleiben wird." Auch Hansi Walden freut sich auf das nächste Mal: "Ich bin gespannt, was dann passiert." Gespannt ist auch Bernadette Seibert, Leiterin des Gewaltpräventionsprojektes "Doors". "Wir alle müssen erst wieder lernen zu helfen", sagt die Sozialpädagogin, die seit Wochen mit den Jugendlichen von der Bischof-Hermann-Kunst-Schule die Aktion geprobt und mehrmals durchgespielt hat. "Wir haben so eine Reaktion erwartet." Für den 19-jährigen Sabi zählt an diesem Tag nur noch eins: "Wir haben es geschafft, zu überzeugen – das war unser Ziel."
Auch in den nächsten Wochen und Monaten geht das Projekt "Zivilcourage" in Espelkamp weiter. Am Sonntag, 26. Februar, geht es zur Schüco Arena nach Bielefeld. Alle Teilnehmer des Fußballturniers am Rosenmontag, heißt 85 Schüler, fünf Lehrer und die Organisatoren der Polizei, fahren mit zum Spiel der Arminen gegen den 1. FC Nürnberg.
Am 16. Juni gibt es auf dem Gelände des Ludwig-Steil-Hofes ein "Spiel ohne Grenzen" mit Jugendlichen aller Kulturen, der Polizei und Prominenten.
19./20.02.2005
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