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Löhner Nachrichten / Neue Westfälische , 18.02.2005 :

Die Bombe fiel in Nachbars Garten / Die 16-jährige Edith Bölling radelte von Mennighüffen heim ins teilweise zerstörte Obernbeck

Von Ulf Hanke

Löhne. Die Stimme aus dem Radio wird Edith Bölling nicht vergessen. "Starke Bomberverbände sind im Anflug auf Heinrich Siegfried fünnef", tönte es seit Wochen immer wieder aus dem Volksempfänger. "Die Stimme sagte wirklich 'fünnef', nicht 'fünf'", erinnert sich die 76-Jährige noch genau an die Worte. Für die damals 16-Jährige war es das Signal, schnell in den Luftschutzkeller zu laufen. Und wochenlang zogen die Bomber über Löhne hinweg, ohne dass etwas passierte. Nicht so am 14. März 1945.

Ausgerechnet an diesem Tag hat Edith Bölling kein Radio gehört. Als die Bomber über Löhne ihre explosive Fracht abwarfen, war die Obernbeckerin zum Arbeitsdienst bei der Firma Baustoff Nagel in Mennighüffen eingeteilt und fütterte gerade die Hühner der Familie Nagel.

Jeden morgen um 8 Uhr war Dienstbeginn in Nagels Küche. "Ich habe als Haushaltshilfe gearbeitet", erzählt Edith Bölling. Das Mädchen wohnte damals mit ihrer Mutter alleine in einer Wohnung in Obernbeck, ihr Vater war als Soldat in Finnland stationiert. Tagsüber verbrachte die 16-Jährige ihren Pflichtdienst mit Hühnerfüttern, Pflaumenmus kochen, auf die Kinder aufpassen oder Waschen.

Abends kam sie zurück zu Muttern. "Ich hatte es gut", sagt sie "und die beiden Fremdarbeiter bei Nagels auch". Ein Holländer und ein Italiener, glaubt sie sich zu erinnern, seien noch bei Nagel beschäftigt gewesen und hätten Beton-Ecken hergestellt. Zwangsweise.

Am Nachmittag des 14. März war sie fast fertig mit ihren täglichen Arbeiten. Kurz vor dem Feierabend musste sie noch die Hühner füttern. "Also bin ich nach draußen gegangen", erzählt Edith Bölling "und da hörte ich schon dieses Grollen."

"Komm rein Mädchen, komm rein!" habe der Holländer gerufen und gewunken. Die Sirenen heulten auf - und sie nahm die Beine in die Hand. Zu dritt, der Holländer, der Italiener und das 16-jährige Mädchen, haben sie dann den Bombenangriff auf Löhne aus dem Mennighüffener Keller verfolgt, hörten das Grollen der Bomber und das Pfeiffen der Sprengladungen und Brandsätze.

Qualm über dem brennenden Löhne

Nach dem Angriff gaben die Sirenen das Signal zur Entwarnung. Edith Bölling ist aus dem Keller gekommen und hat am Horizont den Qualm gesehen. In diesem Moment hat sie nur noch an eins gedacht: "Was ist mit meiner Mutter?" Also hat sie sich aufs Fahrrad gesetzt und ist nach Obernbeck geradelt. So schnell es ging.

Edith Bölling atmet durch. "Von weitem konnte ich schon das Haus in der Adolf-Hitler-Straße sehen", beschreibt die 76-Jährige die Bilder, die ihr nicht aus dem Kopf gehen. "Meine Mutter stand schon im Fenster unserer Wohnung und winkte mir zu", erzählt sie. Die 16-Jährige ließ das Fahrrad draußen stehen und rannte die Treppen hoch, ihrer Mutter entgegen. Auf halber Höhe trafen sich die beiden und umarmten einander. "Da fiel mir ein Stein vom Herzen", sagt Edith Bölling und seufzt noch heute bei dem Gedanken an diese Szene vor 60 Jahren. "Einen Angehörigen zu verlieren ist schlimm. Aber als 16-Jährige braucht man doch noch seine Eltern ... "

Erst nach dem Wiedersehen mit ihrer Mutter hatte das Mädchen Augen für ihre Umgebung. Die Wohnung der Böllings war unterm Dachgeschoss. Überall lagen Glassplitter, die Fensterscheiben des Hauses waren kaputt, zerstört von der Druckwelle einer Fliegerbombe. Da, wo früher einmal der Garten der Nachbarn war, klaffte ein großer Bombentrichter. Das Nachbarhaus hatte die Bombe verfehlt. Tote und Verletzte hat die 16-Jährige nicht gesehen.

"Die Nacht haben wir draußen verbracht", erzählt Edith Bölling "bei Oma auf’m Dinkel". Die drei Frauen hatten Angst, die Bomber könnten zurück kommen. Auf dem schmalen Pattweg zwischen den Feldern zur Ulenburger Allee haben sie sich hingehockt.

An das zerstörte Löhne erinnert sich Edith Bölling nur noch schemenhaft. "Es hat noch tagelang gequalmt", sagt sie. Von den 114 Toten und 136 Verletzten, von denen der damalige Amtsbürgermeister Pötting berichtet, hat sie keinen gesehen. "In einem Anbau der Villa Meyer sollen sie aufgebahrt worden sein", hat Edith Bölling gehört. Gesehen hat sie es nicht.

Tage später ist sie durch das zerstörte Bahnhofsviertel gegangen und hat die Ausmaße der Zerstörung mit eigenen Augen gesehen, die ihre Wohnung verschonten. Überall lagen Schutt und Asche und an der Bünder Straße, auf der Höhe des heutigen Rundfunkgeschäfts Obermeier, lag ein Pferdekavaver am Straßenrand.


lok-red.loehne@neue-westfaelische.de

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