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Neue Westfälische 01 - Bielefeld West , 24.09.2015 :

Viel Leid und viel Lächeln / Reportage: Flüchtlingsfamilien aus dem Oldentruper Hof verbringen mit Ehrenamtlichen einen Tag auf dem Halhof / Sie erzählen von ihrem Schicksal

Von Felix Boche

Bielefeld. Es riecht nach frischem Heu und nach Pferden. Dutzende Gäste verschiedener Nationen tummeln sich vor dem Hof-Café um die langen Tafeln mit traditionellem Fladenbrot, Falafel, Suppe, Salaten und arabischem Mokka. Angesichts der Wetterlage müsste man mit unzufriedenen Gesichtern rechnen, doch das Gegenteil ist hier auf dem Halhof der Fall.

Die vielen Helfer blicken in glückliche Gesichter und erleben Menschen, die seit Wochen mal wieder lächeln und die Unbeschwertheit auf dem Hof genießen. Kinder und Erwachsene versuchen sich am Kletterturm und empfangen stolz Beifall beim Erklimmen der obersten Stufe. In der Reithalle steht eine lange Schlange. Die Menschen können es kaum abwarten, auf dem Tier zu sitzen. Auf dem Dachboden spielen Kinder mit den Gästen Tischtennis und Fußball. Hinter der Scheune führt ein durchnässter Pfad zum Lagerfeuer hoch. Dabei kommen Jugendliche beim Backen von Stockbrot ins Gespräch.

25 Tage gereist

Etwas abseits der Reithalle stehen Alida und Tochter Elvira aus Aserbaidschan, der Familienvater ist Russe. In ihrer Heimat sind die meisten Moslems. Weil sie sich weigerten, im Glauben zu konvertieren, werden sie verfolgt, sagen sie. Sie sind zunächst nach Tschechien geflohen, dann über Berlin und nach Bielefeld gekommen. 25 Tage sind sie gereist und mussten auf maroden Matratzen nächtigen. Alida bricht in Tränen aus. Wir wollen sie nicht weiter aufwühlen, aber Alida fasst Mut und möchte jetzt alles erzählen. "Wären wir da geblieben, wären wir jetzt tot", sagt sie zitternd. Die Familie ist rechtzeitig gewarnt worden, das Land zu verlassen. Sie beteuert, Flucht war wirklich die allerletzte Lösung. Nur mit Geld könne man in ihrer Heimat überhaupt überleben. Doch weil ihr Glaube nicht anerkannt war, bekam die Familie keine Arbeit. Sie wissen nicht, wo sie bleiben dürfen, aber hoffen irgendwo aufgenommen zu werden. "In Deutschland haben die Menschen immer ein Lächeln im Gesicht", sagt Alida. Die Menschen auf dem Halhof machen ihr Mut. Sie ist dankbar für die Hilfsbereitschaft.

"In Deutschland möchte ich lernen"

Auf einer Bank unweit des Buffets sitzt Bekir Yusuf. Der 28-Jährige kommt aus Marokko und hat wegen den Unruhen die Flucht ergriffen. In einer fünftägigen Reise ist er über Spanien nach Deutschland gelangt. Er wirkt erschöpft und fasst nur langsam Vertrauen. Die meiste Zeit musste er draußen unter freiem Himmel schlafen. Mit Glück kam er in einem Zelt einer Hilfsorganisation unter. Auf seiner Reise hat er von Freunden erfahren, die es nicht geschafft haben. Seit einer Woche ist er nun im Oldentruper Hof. Er könne viel und möchte gerne die deutsche Sprache lernen und dann arbeiten.

Samer Theeb hat in Syrien sein Abitur gemacht und begonnen, Zahnmedizin zu studieren. Wegen des Krieges ist er geflohen. Der 24-Jährige wirkt aufgeweckt und erleichtert. Schwer vorstellbar nach einer 25-tägigen Reise über die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien, Ungarn und Österreich. Seine elfköpfige Familie ist zu Fuß, auf dem Schiff und im Zug gereist. "In Deutschland möchte ich weiter lernen und mir eine Zukunft aufbauen", sagt Theeb.

Info / Organisation des Halhof-Tages

Die Schüler vom Maria-Stemme-Berufskolleg, vom Jugendverband "Die Falken", vom ASB, Ulrich Isringhausen, die Teams von der Neuen Börse und vom Nordpark-Restaurant, Heiko von Bandel und Bernd Sudbrak haben sich ein Strahlen in den Augen der Kinder gewünscht - und es bekommen.

Mit zwei großen Bussen von den Stadtwerken sind die 160 Gäste vom Oldentruper Hof zum Halhof gebracht worden.

"Die Familien wurden persönlich von Mitarbeitern eingeladen", sagt Organisatorin Karin Orth-Hesener. Viele hätten allerdings aus Angst, weggebracht zu werden, gezögert, in die Busse zu steigen. Aber auf dem Hof angekommen ging es ganz schnell: "Die Gäste haben erst das Buffet fotografiert und dann gestürmt", sagt Orth-Hesener.

Danach haben sie sich auf dem Gelände verteilt.

Bildunterschrift: Pferde als Höhepunkt auf dem Halhof: Eine lange Schlange von jungen Kindern und Erwachsenen gab es beim Reiten. Viele saßen das erste Mal auf einem Pferd, hielten sich aber gut.

Bildunterschrift: Endlich in Sicherheit: Quais Fande (links) und Samer Theeb sind gemeinsam mit Bruder Marwan Theeb aus Syrien geflohen.


bielefeld@nw.de

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