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Deister- und Weserzeitung , 24.09.2015 :

Obdachloser will kein "Nazi" sein / Carsten Rohde behauptet: "Ich war neidisch auf Flüchtlinge und suchte ein Bett und Essen"

Von Ulrich Behmann

Hameln. Carsten Rohde ist tief gefallen - seit März lebt er auf der Straße. In seinem früheren Leben will der gelernte Kfz-Schlosser Lok-Führer gewesen sein. Er habe ein Haus, eine Frau und zwei Kinder gehabt, erzählt er. Alles sei okay gewesen. Bis zum 26. Oktober 2008. An diesem Tag, so sagt er, "veränderte sich mein Leben total". Jetzt ermittelt der Staatsschutz gegen ihn - wegen Verbreitung und Verwendung von verbotenen Parolen und Grußformeln. Dem 44-Jährigen wird vorgeworfen, den Arm zum Hitlergruß erhoben und Nazi-Parolen gerufen zu haben. Sicherheitsleute bezeugen das.

Am Montagnachmittag hatte sich der Mann vor der Flüchtlingsunterkunft an der Süntelstraße angekettet (wir berichteten). Aus Frust, wie er sagt. Einen Platz zum Schlafen habe er gesucht, Hunger und Durst gehabt. "Als ich die vielen Autos sah, die Spenden für Flüchtlinge brachten, bin ich auf die Idee gekommen, am Tor um Hilfe zu bitten." Rüde abgewiesen worden sei er vom Sicherheitsdienst, behauptet er. "Da hat sich in mir Protest entwickelt." Den Arm zum Hitlergruß will er aber nicht erhoben und auch keine Nazi-Parolen gebrüllt haben. Neidisch sei er auf die Flüchtlinge gewesen, räumt er ein. Er gibt zu, den Stinkefinger gezeigt und "Scheiß Ausländer" gerufen zu haben. "Ich war auf Krawall gebürstet, schäme mich dafür." Rohde beteuert, er sei alles andere als ein Nazi. Eher ein Kiffer. "Halt so ein langhaariger Bombenleger-Typ mit einem Faible für die Piraten-Partei". Überprüfen lassen sich seine Aussagen nicht.

Vor sieben Jahren, sagt der gebürtige Flensburger, "bin ich mit dem Fahrrad verunglückt". Zweimal sei er reanimiert, viermal operiert worden. "Auf dem rechten Auge bin ich fast blind. Lok-Führer – das ging nicht mehr." Von Kündigung, Abfindung, Arbeitslosigkeit und Umschulung erzählt er. In Bad Pyrmont lernt er Siebdrucker. Seine Frau habe im Sommer 2011 die Scheidung einreicht. Er sei in ein tiefes Loch gefallen und durch die Zwischenprüfung gefallen. Rohde berichtet von depressiven Phasen, von Hartz IV - und von seiner Zeit bei einer Zeitarbeitsfirma. Nach drei Monaten sei er wieder ohne Job gewesen. Ende März habe er seine Wohnung verloren.

Bildunterschrift: Carsten Rohde.

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Deister- und Weserzeitung, 23.09.2015:

Obdachloser kettet sich vor Linsingen-Kaserne an … und ruft ausländerfeindliche Parolen / Staatsschutz ermittelt

Von Ulrich Behmann

Hameln. Weil ihn der Sicherheitsdienst nicht auf das Gelände der Erstaufnahme-Einrichtung für Flüchtlinge an der Hamelner Süntelstraße gelassen hat, soll sich ein Mann ohne festen Wohnsitz am Montagnachmittag an einem Hinweisschild zur Linsingen-Kaserne mit einem Stahlseil-Gabelschloss angekettet und den Schlüssel über den Zaun geworfen haben. Der 44-Jährige erzählte einem Wachmann, er habe Hunger und Durst.

Nach Angaben der Hamelner Polizei hatte der Nichtsesshafte am Eingangstor zunächst um Essen gebeten. Der Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes soll ihm sinngemäß gesagt haben: "Für Deutsche gibt es andere Möglichkeiten, an Lebensmittel zu kommen." Offenbar aus Protest fixierte der gebürtige Flensburger wenig später seine linke Hand an dem Schild. "Seinen rechten Arm soll er zum Hitlergruß erhoben und etwas von Adolf Hitler gerufen haben", sagte Kriminalhauptkommissar Heinz Mikus auf Anfrage. Die Polizei wurde gerufen. "Weil die Feuerwehr nur einen großen Bolzenschneider hatte, ist das Fahrradschloss von unserem Techniker mit einer Zange geknackt worden", sagt Kai Trudwig, Geschäftsführer des Sicherheitsdienstes.

Polizeibeamte nahmen die Personalien des Nichtsesshaften auf, erteilten ihm einen Platzverweis. Später sei der Mann allerdings noch einmal an der Kaserne vorbeigekommen, sagte Mikus. Er soll einen Stinkefinger gezeigt und erneut ausländerfeindliche Beleidigungen ausgestoßen haben.

Trudwig verteidigte das Vorgehen seiner Sicherheitsleute: "Wir haben den Auftrag, keine Personen auf das Gelände zu lassen - es sei denn, sie haben zuvor eine Erlaubnis dafür bekommen." Sein Mitarbeiter habe den Wohnungslosen davon abhalten können, den Schlüssel zu verschlucken. Trudwig sagt, der 44-Jährige habe nach Angaben seiner Angestellten "übelste Beschimpfungen" und "Nazi-Parolen" gerufen.

Die Polizeiinspektion Hameln hat gegen den Verdächtigen ein Ermittlungsverfahren wegen Verbreitung und Verwendung von verbotenen Parolen und Grußformeln eingeleitet. Der Polizeiliche Staatsschutz stuft den Vorfall derzeit "als politisch motiviertes Delikt" ein.

Bildunterschrift: Ein Vorfall vor dem Haupttor der Linsingen-Kaserne beschäftigt den Polizeilichen Staatsschutz.


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