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Georg-Weerth-Gesellschaft e.V., Detmold , 14.01.2005 :

Zum Angriff auf das Detmolder Mahnmal für die Opfer nationalsozialistischer Gewalt

In der Reichspogromnacht 1938 begann die Detmolder Bevölkerung ihr Vernichtungswerk mit dem Niederbrennen der Synagoge. Wenn 67 Jahre danach Deutsche das Bedürfnis verspüren, das zu vollenden, indem sie versuchen, die in einem Mahnmal verbauten Reste der ehemaligen Detmolder Synagoge zu zerstören, geht es ihnen offensichtlich darum, auch noch die letzten Spuren ehemaligen jüdischen Lebens aus dem Erscheinungsbild ihres Heimatkaffs zu tilgen. Antisemiten, und eben nicht nur ganz undifferenziert "Rassisten", sind sie also ohne Zweifel. Ihr Ziel scheinen sie in der nachträglichen Erfüllung des historischen Vernichtungsauftrags ihrer ideologischen und "blutsmäßigen" Vorfahren zu haben. Wie sonst ist es zu erklären, dass sie, obwohl ihre historischen Vorgänger doch mit ihrem Vorhaben alle jüdischen Menschen in Deutschland und Europa umzubringen, sehr erfolgreich waren, sich ausgerechnet an einem Bauwerk vergreifen, das daran erinnert, dass es in Detmold mal eine jüdische Wohnbevölkerung gab? Eine aktuell drohende "Überflutung" und "Überfremdung" ihres geliebten Deutschlands können sie ja nicht im Ernst befürchten, egal wie irre sie sind - die weltweit verstreut lebenden Nachkommen der Überlebenden der Shoa drängt es aus gutem Grund nun wirklich nicht ins Land der Täter und noch der letzte aktive Nazi-Agitator glaubt nicht wirklich, dass der deutsche Staat von Juden dominiert wird.

Nein, die Täter wurmt etwas anderes: Die komplette Durchführung des nationalsozialistischen Vernichtungsprogramms scheiterte damals nur am militärischen Sieg der Streitkräfte der Anti-Hitler-Koalition. Unter dessen Folgen meinen sie als Angehörige der deutschen Volksgemeinschaft schon genug gelitten zu haben. Und so erscheint es ihnen als schreiende Ungerechtigkeit, dass ihr geliebtes Vaterland noch immer mit Gedenkstätten für diese Opfer der Deutschen verschandelt wird. Ganz zu schweigen von der "Unverschämtheit", dass es immer noch eine kleine Zahl von Überlebenden und deren Nachkommen in diesem Land aushält. Mit den Angriffen auf jüdische Gedenkstätten und Friedhöfe und dem Terror gegen hier lebende Juden wollen diese Typen sich Genugtuung für die Schande verschaffen, wegen etwas "bestraft" worden zu sein, das man gar nicht zu Ende führen konnte. Obwohl es doch an ihnen nicht scheitern sollte und man bis zum Schluss zu allem bereit war. Dass der entscheidende Schlag gegen die imaginierten Machenschaften eines imaginären Weltjudentums heutzutage effektiver anderorts geführt wird, dürfte jedoch auch zu den Detmolder Tätern schon durchgedrungen sein. Islamistischer Terror gegen Israel, die USA und Juden weltweit, sowie die internationale Solidarität mit den Mördern im Rahmen der (Volks-)Bewegungen gegen den amerikanischen Anti-Terror-Krieg machen auch ihnen mit Sicherheit mehr Hoffnungen, dass sich ihr antisemitischer Vernichtungswunsch doch noch erfüllt. Jeder kann wissen: Antisemitismus heißt heutzutage Antizionismus und richtet sich gegen die einzige existierende Zufluchtstätte für Juden, den Staat Israel. Eine Notlösung, die Staat werden musste, um sich als erstes Ghetto wenigstens verteidigen zu können.

Allein dass sie versäumt haben, den Zusammenhang zum jüdischen Staat explizit herzustellen, wird die Erfolgsaussichten ihres bescheidenen Beitrags zur Unterstützung des internationalen Judenmords schmälern. Schon die bloße Erwähnung Israels in einem schnell dahin geschmierten Graffiti hätte ihre Aktion umgehend vom Stallgeruch ewiggestriger Muffigkeit rein gewaschen. Bei den Volksgenossen hätte ein solcher Bezug den Verdacht ausgeräumt, hier seien Leute am Werk gewesen, die es zwar gut mit Deutschland meinen, deren Aktivitäten aber in ihrer Unvermitteltheit nicht mehr up to date und für die nationale Sache sogar kontraproduktiv sind.

Nicht zuletzt deshalb entwickeln die "intellektuellen" Faschisten, hier regional durch das "Collegium Humanum" vertreten, weiterreichende Strategien. Die Jungnazis sollen ihre ebenso herz- wie hilflose Handwerkelei an den Überresten einer schon zerstörten Synagoge aufgeben und das Bündnis mit den mörderischsten Antisemiten dieser Tage, den islamischen Terroristen weltweit, suchen. Bei Hitler hieß das dann "Antisemitismus der Vernunft".

Vielleicht, so ist zu befürchten, gehen sie aber auch völlig selbstverständlich davon aus, dass ihre Zeitgenossen die zu leistende Vermittlung durchaus alleine hinkriegen. Mit einigem Recht: es laufen heutzutage nicht nur in Deutschland massenhaft Subjekte rum, die angesichts ihrer zunehmenden absoluten Überflüssigkeit für die Zwecke des Kapitals immer noch gerne etwas ihnen Wesensfremdes totschlagen würden. Das trifft dann mit tödlicher Sicherheit Juden. So hoffen sie, ihrer von Staat, Kapital und ihnen selbst vergeigten Existenz doch noch etwas Sinn zu geben, bevor eventuell alles den Bach runtergeht. Bei dieser Klientel können die Detmolder Täter durchaus sicher sein, dass auch hier die Zeichen der Zeit erkannt wurden und der antisemitische Vernichtungswunsch in den in Israel lebenden Juden längst ein lohnenswerteres Objekt der Begierde gefunden hat. Kriegt man doch täglich im Fernsehen vorgeführt, wie im Nahen Osten schon in einem Maße Juden umgebracht werden, von dem deutsche Antisemiten zur Zeit nur träumen können.

Ihre eigene Obrigkeit jedenfalls agiert im Moment weltweit, vorbei ist die Zeit, in der man unter der unvollkommenen deutschen Souveränität als Folge des vermasselten Endsiegs litt. Sie tut dies sehr erfolgreich, gerade indem sie ab und zu demonstrativ unter Beweis stellt, dass sie wenigstens versucht (!) "ihre" Juden vor Übergriffen auf Leib und Leben zu schützen, sogar eine "Erinnerungskultur" pflegt und bei Bedarf, auch mal einen "Aufstand der Anständigen" ausruft. Das staatsoffizielle "Nie wieder Auschwitz" wird instrumentalisiert, um umso unverschämter im Verein mit den anderen gierigen Europäern und einem Haufen despotischer Dritte-Welt-Potentaten zu versuchen, den USA ihren Erfolg in der internationalen Staatenkonkurrenz madig zu machen. Man muss bei deutschen Politikern, ebenso wie bei ihren Untertanen, davon ausgehen, dass sich ein Deutscher vor allen Dingen dadurch auszeichnet, dass er seine eigenen Lügen glaubt. So steht zu befürchten, dass sie für diesen Zweck im Falle des Falles auch bereit sind, die in Israel lebenden Juden dafür buchstäblich über die Klinge springen zu lassen. Es wird dann auch den offiziellen Repräsentanten mit Sicherheit wieder einfallen, dass der Staat Israel und seine Bürger eben letztendlich zu beseitigende "Fremdkörper" in "der Region" seien und "die Region" nur über die Neuordnung als kulturell homogener Großraum zu ewigem Frieden finden wird. Noch ist es jedoch nicht ganz so weit und der deutschen Führung sind antisemitische Aktionen im eigenen Land eher ein Dom im Auge.

Fanatische deutsche Antisemiten, die es ernst meinen mit dem Judenmord und die die Herzen und Köpfe der Volksgemeinschaft gewinnen wollen, haben andere Möglichkeiten, den Vernichtungsdruck auf die israelischen Juden real zu erhöhen. Indem sie mal wieder die so beliebte öffentliche Diskussion, was man in diesem Land eigentlich über Israel sagen "dürfe" anleiern. Indem sie die antizionistische Stoßrichtung ihrer Anschläge deutlich benennen, sie sich z.B. öffentlich zu ihrem Anschlag im Sinne einer Protestaktion gegen den Bau des israelischen Anti-Terror-Zaunes bekennen. Indem sie sagen, die in Israel lebenden Juden seien die neuen Nazis, welche mit den Palästinensern so umsprängen wie seinerzeit die deutschen Nazis mit den Vorfahren der heutigen Juden. Sie würden in diesem Land durchgehend Verständnis ernten, würden sie das grauenhafte Unrecht anprangern, das angeblich darin besteht, die Gründung eines völkischen Palästinenserstaates zu verhindern. Sie hätten bloß aussprechen müssen, was fast jeder Deutsche eh zu wissen glaubt: dass nämlich hinter den amerikanischen Befreiungskriegen im Irak und in Afghanistan "interessierte Kreise an der Ostküste" stecken, die selbstverständlich nur eine Agentur der im Nahen Osten Staat gewordenen Zentrale des Weltjudentums seien. Dann ergäben sich genug Anknüpfungspunkte, nicht nur zur realen deutschen Außenpolitik, sondern auch zu großen Teilen der hier zum Protest gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit aufmarschierten Kräften der verbliebenen Linken, der Friedensfreunde und Gutmenschen.

Da die Täter es versäumt haben, die immer auch antizionistische Motivation ihrer antisemitischen Tat ausdrücklich deutlich zu machen, haben sie also die Chance verspielt, die ganze Spannbreite der in ihrem Sinne wünschenswerten und realistisch zu erwartenden gesellschaftlichen Reaktionen auszukosten. Die, wenn es um Israel geht, in diesem Land immer einsetzende öffentliche Debatte, deckt das gesamte Spektrum ab: von unverhohlener Sympathie für die antizionistische Gewalttat, über ihre antirassistische Verurteilung (die aber nicht vergisst zu erwähnen, dass die Politik des Staates Israel jedoch natürlich ganz unabhängig vom aktuellen Antisemitismus be- und das heißt dann verurteilt werden müsse), bis zum staatsbürgerlichen Problematisieren und Rumkritteln, ob die Politik Israels und das angebliche gesellschaftliche Tabu sie zu kritisieren nicht auch ein bisschen Grund für die Randale der deutschen Jugend auf jüdischen Gedenkstätten und Friedhöfen seien. Und diese Art von konstruktiver Öffentlichkeit ist angesichts des deutschen Engagements im so genannten "Nahost-Konflikt" viel gefährlicher. Und zwar für das pure Überleben ganz realer jüdischer Menschen in Israel. Dieses Mal ist es, außer dem barbarischen Rumtrampeln auf der Trauer der Überlebenden um die Opfer, für den Moment bei ein paar kaputten Steinen an einem Monument deutscher Vergangenheitsbewältigung geblieben. Fast wäre es schlimmer gekommen.


gwg@georg-weerth.info

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