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Georg-Weerth-Gesellschaft e.V., Detmold , 14.01.2005 :

Kundgebung gegen Antisemitismus und Antizionismus

Samstag, 15.01.2005, 12 Uhr - Detmold, Kreuzung Lange Straße / Exterstraße (neben "Textilhaus Wiese")

Der unmittelbare Anlass

Irgendwelche Subjekte, die im Einzugsbereich deutscher Staatsgewalt wohnen, haben vor dem 11. Januar 2005 Teile eines Gedenk-Ensembles in Detmold stark beschädigt. Es handelt sich dabei um zwei von vier in die Gedenkstelen eingemauerte Säulen, Reste der Detmolder Synagoge, die 1938 unter tatkräftiger Mithilfe der Detmolder Bevölkerung zerstört wurde. Passanten sind die am Boden liegenden Trümmerteile aufgefallen. Sie haben sie, da es sich um ein städtisches Denkmal handelt, pflichtbewusst zum Rathaus gebracht. Von dort wurde Anzeige erstattet. Die Staatsschutzabteilung der Kriminalpolizei Bielefeld hat die Ermittlungen übernommen, weil "ein rechtsradikaler Hintergrund der Tat" nicht auszuschließen sei.

Die Intention der Täter

Fast 60 Jahre nach der Befreiung der Auschwitz-Überlebenden durch die Rote Armee fühlen in Detmold (und leider nicht nur dort) Menschen das Bedürfnis, eine Gedenkstätte zu zerstören, weil sie "unter anderem" den in Auschwitz oder an vielen anderen Orten auf deutschen Befehl ermordeten Jüdinnen und Juden gewidmet ist. Sie bringen genug kriminelle Energie und Risikobereitschaft auf, um dieses Bedürfnis in die Tat umzusetzen. Sie demonstrieren damit symbolisch-praktisch ihren Herzenswunsch: Die Judenvernichtung der Nazis möge nach Jahrzehnten der Unterbrechung vollendet werden.

Sie werden wissen, dass sie damit nicht nur die örtliche Traditions-Antifa herausfordern, sondern auch den deutschen Staat, der so ein Vorgehen inzwischen mit hohen Strafen bedroht, weil es seinen derzeitigen Zielen völlig zuwider läuft. Aber damit können diese Täter offenbar leben. Sie scheinen als Idealisten auf mächtigere und langlebigere Instanzen zu vertrauen: auf das "deutsche Volk" (wie nicht nur sie diese aller re-education trotzende Gemeinschaft nennen) und die immer stärker werdende antisemitische und antiamerikanische Internationale.

Die Staatsschutz-Reaktion

Wenn er auch sonst nicht für Sensibilität berühmt ist, hat der deutsche Staatsschutz doch eines gelernt: fein zu unterscheiden zwischen gewöhnlichem Antisemitismus und rechtsradikalem Antisemitismus. Nur der letztere ruft ihn auf den Plan, weil nur der eine Gefährdung des Staates darstellt. Dass der Angriff auf das Denkmal in Detmold antisemitisch motiviert ist, würde der Staatsschutz nie bestreiten. Aber das reicht offenbar nicht aus, aktiv zu werden. Wenn sich also als Ergebnis der Ermittlungen herausstellen sollte, dass der Täter entweder ein deutscher Einzeltäter ist, der weder Mitglied einer neonazistischen Gruppe ist noch zu Hause einschlägigen Propagandadreck hortet, dann kann er sich mit einer gewissen Erleichterung im Nachhinein als "eigentlich nicht zuständig" betrachten. Es gab dann quasi einen Fehlalarm. Diese Einsicht führt immer zur Entwarnung, auch für den Fall, dass es sich beim Täter um jemanden aus migrantischen Kreisen handeln sollte. Selbst wenn der ein bekennender Antisemit sein sollte, kann sich der deutsche Staat doch als nicht verantwortlich für seinen Geisteszustand erklären, weil er eben kein deutsches Blut in seinen Adern hat. Er wird dann gegebenenfalls abgeschoben. Das würde nur die örtliche linke Traditions-Antifa in Probleme stürzen. Die ist nämlich grundsätzlich gegen Abschiebungen (vgl. "hiergeblieben.de"), aber auch gegen diese Form des symbolisch agierenden Antisemitismus. Sie hält es mehr mit dem praktischen Kampf gegen den Zionismus und den Staat Israel. Der ist ihrer Ansicht nach meilenweit vom Antisemitismus entfernt.

Die Reaktion der linksradikalen regionalen Antifa

Eine vom Staatsschutz wie auch von sich selbst als linksradikal eingestufte örtliche Antifa erkennt einen solchen Angriff auf ein Denkmal, das unter anderem auch den ermordeten Juden gewidmet ist, selbstverständlich als antisemitisch. Und da sie - in welcher Form auch immer - vom regionalen Staatsschutz gelegentlich belästigt oder verdächtigt wird, "vertraut" sie ihm "keineswegs". Sie glaubt nicht, dass der Staatsschutz ernsthaft rechtsradikale Täter ausfindig machen will, sondern unterstellt ihm, dass er diese Aktivitäten nur vortäusche oder sie ohne Engagement betreibe. Seine eigentliche Aufgabe sei eben die Bekämpfung der Antifa.

Ihren Kampf gegen den Antisemitismus führt diese Antifa, indem sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit (und das sind recht viele) darauf hinweist, dass es in Deutschland (und vor allem auch in OWL, dem Raum, für den diese Antifa sich zuständig fühlt) noch ziemlich viele Nazis gibt, die mit wachsendem Erfolg unter anderem antisemitische Agitation betreiben. Den Grund dafür hat die Antifa im zunehmenden Verdrängen und Vergessen der deutschen Verbrechen zwischen 1933 und 1945 ausgemacht. Und darin, dass der deutsche Staat eben nicht konsequent genug gegen Alt- und Neonazis vorgehe. Das Gegenmittel: Appelle an die Bürger, endlich wach zu werden, Appelle an den Staat, in der Verfolgung seiner Gegner andere Schwerpunkte zu setzen. Letztlich wird gefordert, Schröder mit seiner Sommerloch-Parole vom "Aufstand der Anständigen" endlich beim Wort zu nehmen.

Der deutsche Staat lässt gerne an seine alten Verbrechen erinnern

Wenn diese Erinnerung im feierlichen bis pompösen Gewand daher kommt, nicht allzu konkret wird und keine Entschädigungsforderungen der Opfer nach sich zieht, lässt der deutsche Staat seit Mitte der 80er Jahre, als der Bundespräsident von Weizsäcker die neue Leitlinie zur "Vergangenheitsbewältigung" vorschlug, an ausgewählten Orten und zu festgelegten Zeiten von routiniertem Personal gerne an die "Verbrechen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft" erinnern. Erstens lässt das die aktuelle demokratische Staatsform immer in hellem Licht erscheinen. Zweitens wird dadurch Zweifeln an der moralischen Integrität "des deutschen Volkes" der Boden entzogen - das ist der Kern der berühmten Rücksicht auf das Ausland (gemeint sind damit immer die USA und Israel, bzw. "die Juden" weltweit). Drittens hat Deutschland erfolgreich Moral zum Instrument politischer Auseinandersetzungen gemacht. Der Weltmeister in der Vergangenheitsbewältigung möchte gerne (auch zukünftig) in der Lage sein, seine Beteiligung an Kriegen nach Bedarf mit Verweisen auf die deutsche Vergangenheit zu legitimieren (Kosovo) oder zu verweigern (Irak).

Deutsche Bevölkerung und Antisemitismus

Den deutschen Normalbürger lässt so ein antisemitischer Anschlag kalt. Kaum jemand regt sich darüber auf. Nur jener verschwindend kleine Promillesatz, aus denen staatliche Stellen bei ihren Gedenk- und Betroffenheitsritualen die unverzichtbare Statisterie rekrutieren können. Den Rest kümmert das staatliche Gedenktheater nicht oder er findet es höchst ärgerlich, weil er eine umstandlose und direkte Identifikation mit Deutschland bevorzugt. Man möchte gerne ohne Vorbedingung und Einschränkung stolz auf Deutschland sein. In jüngster Zeit haben sich alle Bundestagsparteien entschieden, dass dieses Bedürfnis vollauf berechtigt ist und von ihnen mit erzieherischer Zeigefingerbegleitung bedient werden muss, weil sonst die Deutschen die Parteien wählen könnten, die offen aussprechen, was in der Bevölkerungsmehrheit denkt: der klassische wie auch der modernisierte sekundäre Antisemitismus.

In der aktuellen Heitmeyer-Befragung haben fast 70 % der Befragten zugegeben, sie ärgerten sich darüber, "dass den Deutschen auch heute noch die Verbrechen an den Juden vorgehalten werden". Über 60 % sind "es leid, immer wieder von den deutschen Verbrechen an den Juden zu hören". Seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland gibt es die berüchtigte Schlussstrich-Forderung, die immer populärer geworden ist. Was früher Position von Nazis war, ist heute Mainstream. Offizielle deutsche Gedenkpolitik und antisemitischer nationaler Widerstand im Sinne eines Horst Mahler gehen von einer gemeinsamen antisemitischen Projektion aus: Das internationale Judentum müsse eine ihm zahlenmäßig nicht zukommende, letztlich geheimnisvolle Macht haben. Der normale demokratische Antisemit hat für sich beschlossen, dass es besser sei, sich dieser (nur in seiner Wahnvorstellung existierenden) Über-Macht zu beugen, sie zu beschwichtigen, um absehbare Probleme bei der Durchsetzung nationaler Ziele zu vermeiden. Der nazistische Antisemit dagegen ist zuversichtlich, dass er die imaginierte jüdische Übermacht brechen kann, ohne sich ihr vorher scheinbar zu unterwerfen.

Der deutsche Staat hat mit vielen seiner Bürger das Problem, dass diese seinen Umgang mit den Juden für zu rücksichtsvoll halten. Die in Deutschland lebenden Juden werden von der Mehrheit verdächtigt, sich "stärker mit Israel als mit Deutschland verbunden" zu fühlen. Sie interessierten sich folgerichtig "mehr für israelische als für deutsche Angelegenheiten".

Und das, obwohl dieser Staat Israel nach Ansicht von fast 70 % der Befragten "einen Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser" führt. Immerhin mehr als Hälfte sieht in den Israelis die heutigen Nazis: "Was der Staat Israel mit den Palästinensern macht, ist im Prinzip auch nichts Anderes als das, was die Nazis im Dritten Reich mit den Juden gemacht haben."

Man sieht: Der deutsche "Antifaschismus" erwacht erst, wenn er in (israelischen) Juden die Faschisten sehen kann. Wenn sich deutsche Juden aber in der Phantasie der "antifaschistischen" Antisemiten so sehr mit Israel identifizieren, dürfen sie sich nicht wundern, wenn sie vom neudeutschen, ausschließlich gegen Israel und die USA gerichteten "Antifaschismus" auch ins Visier genommen werden.

Sollten die Täter jenes Anschlags auf die Gedenkstätte in Detmold je gefasst werden, so könnten sie sich gut mit der Ausrede helfen, sie hätten damit gegen die faschistoide israelische Mauer und gegen Israels Vernichtungskrieg gegen das palästinensische Volk protestieren wollen.

Die Mehrheit des "deutschen Volkes" würde sie freisprechen und somit zum Ausdruck bringen, wes Ungeistes Kind sie ist.

Das Dilemma des Gutmenschentums: Individuelles Gedenken für Deutschlands neue Größe

Wer subjektiv betroffen ist von solchen Anschlägen, sie aus Überzeugung und nicht nur aus politischem Kalkül verurteilt, gerät doch meist in ein politisches Dilemma: Er lässt sich leicht instrumentalisieren für die Zwecke des staatlichen Erinnerungstheaters, das zum Zwecke der Machtsteigerung des deutschen Staates veranstaltet wird. Er hilft u. U. dabei mit (vielleicht sogar widerwillig), Deutschlands außenpolitische Handlungsspielräume zu erweitern. Im Extremfall führt das zu Blauhelm-Einsätzen deutscher Soldaten im Nahen Osten, die dafür sorgen sollen, dass Israel sich gegen teroristische Attacken nicht mehr wirksam verteidigen kann.

Dagegen hilft nur:

- Unbedingte Solidarität mit Israel und seiner militärischen Selbstverteidigung als Basis für Antifaschismus
- Die Forderung nach Aufkündigung des "kritischen Dialogs" mit Islam-Diktaturen
- Kein Kulturrelativismus zur Entschuldigung von Antisemitismus bei Migranten!
- Absage an das Gedenktheater des deutschen Staates, die Basis für den "neuen" Patriotismus
- Entschiedene Bekämpfung des deutschen Opfermythos (Dresden, Vertreibung, Zweistaatlichkeit usw.)


gwg@georg-weerth.info

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