Bielefelder Tageblatt (OH) / Neue Westfälische ,
10.01.2005 :
Die Vorhölle der Vernichtungslager / Ausstellung über das Untergrundarchiv aus dem Warschauer Ghetto gestern eröffnet
Von Thomas Güntter
Bielefeld. Die Ausstellung "Oneg Schabbat" über das Untergrundarchiv des jüdischen Ghettos in Warschau ist ein Teil des kollektiven Erinnerns zum Bewahren der eigenen Menschlichkeit. Das sagte Professor Helmut Skowronek gestern auf der Eröffnungsveranstaltung in der Ravensberger Spinnerei. Skowronek ist der ehemalige Rektor der Bielefelder Universität und Vorsitzender Arbeitsgemeinschaft der Deutsch-Israelischen Gesellschaft.
Die Wanderausstellung im kleinen Saal der Volkshochschule (VHS) in der Ravensberger Spinnerei wird bis zum Samstag, 12. Februar, gezeigt. Öffnungszeiten: montags bis samstags von 8 bis 20 Uhr und an Sonntagen von 8 bis 18 Uhr.
Wie bereits am 7. Januar berichteten, war "Oneg Schabbat" der Tarnname des Archivs, das von dem promovierten Historiker Dr. Emanuel Ringelblum, geboren 1900, ermordet 1944, eingerichtet und geleitet wurde. Heute gilt die Sammlung, die Ringelblum und seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen konspirativ und unter Lebensgefahr zusammentrugen, als die wichtigste Sammlung von Archivalien zur Geschichte der Vernichtung des polnischen Judentums. Die Dokumente werden im Jüdischen Historischen Institut in Warschau aufbewahrt.
Die Wanderausstellung, die in Bielefeld zu sehen ist, besteht aus Kopien. "Die Originale werden wie Reliquien behandelt und sind viel zu wertvoll", sagt Klaus Rees vom Vorstand der Gesellschaft zur Aufarbeitung der Geschichte der Deutschen Wehrmacht, die dafür sorgte dass die Ghetto-Austellung nach Bielefeld kam. Der Verein holte 2002 die Wehrmachtsausstellung in die Raspi.
Polen hatte vor dem Krieg den höchsten jüdischen Bevölkerunganteil aller Länder. Von 35 Millionen Einwohnern waren über zehn Prozent Juden. Warschau war das größte Ghetto. Bis zu 500.000 Menschen lebten zeitweilig hier. Maximal 50.000 hätten auf der Fläche, die mit einer drei Meter hohen Mauer vom übrigen Warschau abgetrennt war, Platz gehabt.
Ringelblum und seine Leute schafften es gerade noch vor der völligen Vernichtung des Ghettos, die Materialien zu vergraben. Die beiden ersten Teile in zehn Metallkisten und zwei großen Milchkannen wurden 1946 und 1950 gefunden. Der dritte Teil gilt als vermisst. Die Juden wurden systematisch im Vernichtungslager Treblinka umgebracht. 100.000 Juden verhungerten oder starben im Ghetto an Seuchen. Es gibt nur wenige Überlebende aus dem Vorhof zur Hölle. Einer ist berühmt: der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki. Musikalisch umrahmt wurde die Eröffnung vom Trio Cantabile um den städtischen Geiger Leonid Ratsimar.
lok-red.bielefeld@neue-westfaelische.de
|