Deister- und Weserzeitung ,
08.01.2005 :
Das Bild als Waffe: "Abgestempelt" auf Spott-Postkarten / Ausstellung im Hamelner Museum beleuchtet Antisemitismus anhand von Dokumenten aus der Sammlung Haney
Hameln (kar). "Liebe Mutter ... Verzeih' bitte die nicht ganz passende antisemitische Karte, aber ich hatte heute keine andere ... ", schrieb der Student Max 1899 auf eine Postkarte, die einen Wachtmeister zeigt, der einem "Ostjuden" mit den Worten "Nu aber raus!" entgegentritt. Eine von 300 judenfeindlichen Spottkarten, die das Hamelner Museum in seiner Sonderausstellung "Abgestempelt" zeigt und die wie alle übrigen Exponate der Sammlung Haney aus der Zeit von 1890 bis 1933 die machtvolle Wirkung von Karikatur und Stereotyp belegen.
"Stereotype sind außerordentlich verbreitet und haben durchaus eine nützliche Funktion", sagte gestern Museumschefin Dr. Gesa Snell, "sie können aber auch höchst gefährlich werden". Eine Gefahr, die sich oft schleichend vollzieht, sich von vordergründiger Harmlosigkeit über offenkundige Stigmatisierung bis hin zur hasserfüllten Hetzkampagne steigert und von Tod bringender Sprengkraft sein kann, die im Fall des Antisemitismus zu den Massenvernichtungslagern des NS-Regimes führte.
"Abgestempelt" wurden die Juden zur Zeit des ersten modernen Massenmediums, der Postkarte, auf gut 3 Millionen Karten pro Jahr. Über 1.000 dieser Karten mit antisemitischen Motiven hat der Berliner Sammler Wolfgang Haney, der als Sohn einer Jüdin im Dritten Reich selbst Diskriminierung und Verfolgung ausgesetzt war, im Laufe der Jahre zusammengetragen. 300 Exponate sind vom 15. Januar bis 6. März in Hameln zu sehen. In komprimierter Fassung wurde die in anspruchsvolle Themenfelder untergliederte Ausstellung vom Jüdischen Museum und dem Museum für Kommunikation in Frankfurt (Main) erarbeitet und von der Bundeszentrale für Politische Bildung auf Wanderschaft geschickt. Nach Speyer ist Hameln die zweite Station.
Das Bild als Waffe: Antisemitische Karikaturen fanden seit dem Ende des 19. Jahrhunderts vor allem auf Postkarten massenhafte Verbreitung und provozieren in der Ausstellung "Abgestempelt" eine Fülle von Fragen: Wie populär war der Antisemitismus tatsächlich? Welche Wirkung entfalten Karikaturen? Wie werden solche Bilder konstruiert? Beleuchtet wird auch, wann ein Stereotyp zum handfesten Vorurteil "reift" und wo man die Grenze zieht. Die Geschichte der heimischen Juden kommt dabei nicht zu kurz, ist mit Objekten und Dokumenten eine hochinformative Ausstellungsbereicherung. Dabei wird auch Material zur "Glückel" von Hameln (1645 - 1724) ins Blickfeld gerückt, eine der bekanntesten und faszinierendsten jüdischen Frauen überhaupt, deren Lebenserinnerungen den Namen Hameln in alle Welt getragen haben. "Wie sie aussah, wissen wir nicht", sagt Burghardt Sonnenburg vom Hamelner Museum, "aber sie war eine der erfolgreichsten Tuch- und Perlenhändlerinnen ihre Zeit, eine moderne, aufgeschlossene Frau".
Die Gästeführer des Museums werden eigens für "Abgestempelt" geschult und führen durch die Ausstellung (Anmeldung, Telefon 05151/202216). Schulklassen haben übrigens freien Eintritt.
08./09.01.2005
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