www.hiergeblieben.de

Deister- und Weserzeitung , 07.01.2005 :

Ein Stück Haller Dorfgeschichte – der Jüdische Friedhof am Steinbrink / Gemeinde bringt Kulturdenkmal auf Vordermann / Blick in die Historie

Halle (tz). Wer dem Jüdischen Friedhof am Steinbrink in Halle – er liegt am Ortsausgang in Richtung Dohnsen – seine Aufmerksamkeit zuwendet, nimmt erstaunt wahr, dass sich dort zur Jahreswende vieles geändert hat. Der freistehende große Gedenkstein ist nach der Abholzung störender Bäume zu einem eindrucksvollen Mahnmal geworden. Und die Pflege des gräberlosen Friedhofes – acht bis neun Grabstellen wurden dort einst registriert – zeigt, dass der Gemeinde diese Erinnerungsstätte an jüdisches Leben in der Ithbörde am Herzen liegt.

Grundlage der jüngsten Maßnahmen ist die Mitteilung des Instituts für Denkmalpflege, dass der Jüdische Friedhof in das Verzeichnis der Kulturdenkmale im Rahmen der Dorferneuerung aufgenommen wurde. Außerdem kam mit dem Landesverband der jüdischen Gemeinden und der Kommune Halle schon 1977 eine Vereinbarung über die örtliche Friedhofspflege zustande. Eine Verschönerung des Landschaftsbildes durch eine Heckenbepflanzung soll noch folgen.

Was aber weiß die Öffentlichkeit eigentlich noch von jüdischen Existenzen und früheren Mitbürgern, bevor im Dritten Reich die Verfolgung einsetzte. Heimatforscher Ludwig Brockmann aus Halle hat in seinem Archiv aufschlussreiche Hinweise auf das Friedhofswesen in der Ithbörde gegeben. Die jetzigen Friedhöfe in Halle, Dohnsen, Linse, Tuchtfeld und Wegensen wurden 1838 angelegt – im Zusammenhang damit dürfte auch der Judenfriedhof Halle entstanden sein. In einem Rezess 1847/48 ist dieser Jüdische Friedhof auf einer Karte von Halle bereits ausgewiesen. Ältere Haller Bürger dürften sich noch an ein malerisches altes Fachwerkhaus auf der Zinne erinnern, das 1971 abgerissen wurde und der Werkstatt des Kfz-Meisters Gerhard Brünig Platz machte. Dieses Fachwerkgebäude hieß früher im Volksmund "Der Tempel". Es gehörte 1863 dem jüdischen Kaufmann Baruch Hallenstein mit seinem Sohn Isaak und ging 1888 in den Besitz des jüdischen Schlachters und Lotterieeinnehmers Ferdinand Breitenstein über, der imSeptember 1923 verstarb (seine Frau im August des gleichen Jahres) und ebenso wie die übrigen Juden aus Halle auf dem eigenen Friedhof beigesetzt wurde.

"Der Tempel" enthielt einen Betraum, in dem jüdische Gottesdienste – Frauen und Männer saßen streng getrennt – abgehalten wurden. Nach dem Tode des Ehepaares Breitenstein bewohnte eine Familie Kick dieses Haus, während einige Morgen Land dem Gastwirt Runge zufielen. Auch eine Familie Moritz Heilbronn tauchte bei Nachforschungen auf. Moritz Heilbronn soll ein Ausstattungsgeschäft betrieben haben. Als das Ehepaar 1913/14 verstarb, verkauften die Kinder das Geschäft und wanderten nach Amerika aus.

Die Grabsteine auf dem Jüdischen Friedhof wiesen mit dem Rücken zum Ith, mit der beschrifteten Seite ins Dorf. Da dieser Friedhof am 23. November 1938 eingeebnet wurde – er war schon Jahrzehnte verwildert – sind keinerlei Spuren von Grabstellen mehr da.

Mitte der 60er Jahre dürfte der schlichte Gedenkstein im unteren Teil des Friedhofs als Mahnmal aufgestellt worden sein. Er enthält die Zeilen: "Den hier Beigesetzten zur Ehre und Erinnerung – den Lebenden zur Mahnung." Und unter einem hebräischen Text erinnert das Vers-Zitat "Darob weine och. Mein Auge, ach mein Auge, strömt Tränen herab" an schwere Jahre und an Verfolgungen im Dritten Reich. Zur Ortshistorie von Halle im 19. und 20. Jahrhundert gehört auch dieses Stück jüdischer Geschichte.


redaktion@dewezet.de

zurück