WebWecker Bielefeld ,
05.01.2005 :
Polizei schließt Arbeitsagentur
Die Aktion "Agenturschluss" sorgte am ersten Arbeitstag nach Hartz IV für Unruhe in der Bielefelder Agentur für Arbeit. Ansonsten gab es zwar lange Schlangen aber wenig Konflikte.
Von Mario A. Sarcletti
"Wo passiert denn hier was", erkundigen sich am Montag kurz vor zehn Journalisten am Infostand der PDS vor der Bielefelder Agentur für Arbeit, als weit und breit keine Demonstranten zu sehen sind. Denn um 10 Uhr sollte Bielefeld sich an der bundesweiten Aktion "Agenturschluss" gegen Hartz IV beteiligen. In mehr als achtzig Städten wollten Erwerbsloseninitiativen und andere Gegner der so genannten Arbeitsmarktreformen sich zum Protest vor und in den Arbeitsagenturen versammeln.
Von Protesten war jedoch vorerst an der Werner-Bock-Straße bis auf den PDS-Stand nichts zu sehen. "Das ist hier organisiert wie ein Freies Theater, da müssen sie sich in die Flure begeben", rät die ehemalige PDS-Ratsfrau Beate Niemeier den Medienvertretern, die sich für den "Agenturschluss" und die Menschen interessieren, die gegen "Arbeitsdienst und Sozialkontrolle", so eine Rednerin, protestieren wollen.
Im Gebäude selbst, in das schon mehrere Aktivisten eingesickert sind, fallen zuerst zwei lange Schlangen auf. Die protestieren nicht, die Bezieher des neuen Arbeitslosengelds II wollen ihren Leistungsbescheid überprüfen lassen oder sich arbeitslos melden. "Es gab heute viele Leute, denen an ihrem Bescheid etwas nicht plausibel erschien", berichtet der Direktor der Bielefelder Agentur für Arbeit, Peter Glück. Eine Betroffene erzählt, dass sie seit drei Monaten eine von der Regional-Entwicklungsgesellschaft (REGE) vermittelte Arbeitsgelegenheit, also einen 1-Euro-Job, habe. Dennoch sei ihr kein Mietkostenzuschuss überwiesen worden. Seit 8 Uhr morgens sei sie durch das Gebäude an der Werner-Bock-Straße geirrt, bis sie kurz vor 10.30 Uhr erfahren habe, dass sie sich an die Außenstelle Brackwede wenden müsse.
Andere haben aufgrund einer Softwarepanne bei der Agentur gar kein Geld erhalten, obwohl Banken und Sparkassen versuchten, den Fehler zu beheben. Siebzehn Bielefelder Leistungsempfänger bekamen am Montag ihre Bezüge ganz oder teilweise bar ausgezahlt. Einige von ihnen erleben kurz nach zehn das "Freie Theater" der Hartz-IV-Gegner. Mit einem Transparent, Sprechchören und einer mobilen Musikanlage ziehen die von der vierten Etage ins Foyer und fordern unter anderem "Her mit dem schönen Leben".
In einem Flugblatt appellieren sie außerdem an die Mitarbeiter der Agentur, ihre Spielräume zu nutzen - "zu Gunsten der Betroffenen". Die Mitarbeiter nehmen die Demonstration in ihrem Amt gelassen, halten dem Protestzug sogar die Türen auf. "Sie sind schlau, sie wissen, dass da Potenzial drin ist", kommentiert eine Demonstrantin das Verhalten.
Das Flugblatt richtet sich nicht gegen alle Mitarbeiter, sondern explizit gegen die, "die glauben irgendeinen Job zu verrichten". Von Fördern sei bei dem kaum noch die Rede, so die Kritiker, die in diesem Punkt auch Zustimmung von Saarlands Ministerpräsident Peter Müller erhalten. Der ließ am Morgen aber verlauten, dass die Agenturen sich mehr um die Vermittlung in Arbeit als um die Auszahlung der Leistungen kümmern sollen. Agenturdirektor Glück versteht Müllers Aussage nicht. "Ich kann doch jetzt nicht die Leistungen einstellen, personelle Einsparungen sind in dem Bereich nicht mehr drin", sagt Glück dem WebWecker. Allerdings seien in seiner Arbeitsagentur sechseinhalb neue Stellen für Arbeitsvermittler eingerichtet worden, spätestens ab März sollen diese tätig werden.
Glück begleitet die Demonstranten, macht aber gleich klar: "In ein paar Minuten haben sie Hausverbot." Die Agentur sei schließlich nicht der richtige Ort für eine politische Demonstration, findet er. "Das ist eine Störung, die ich nicht hinnehmen kann", sagt der Hausherr. Eine Diskussion mit den Demonstranten will er eigentlich nicht: "Ich diskutiere nicht mit Sprechchören", erklärt er. Einer davon lautet "Glück ins Büro", eine Demonstrantin rät dem Direktor: "Herr Glück, Sie haben in den letzten Tagen genug Stress gehabt, gehen Sie nach Hause." Eine andere empfiehlt, "den Protest jetzt zuzulassen, als dann, wenn sich das aufgestaut hat".
Diese Tipps interessieren Peter Glück ebenso wenig wie die "Drohung" einer Rednerin: "Wenn die Arbeitsagentur zur Arbeitspolizei wird, stellen wir ihre Existenzberechtigung in Frage." Nachdem der Großteil der Protestierenden von zwei Dutzend uniformierten und zivilen Polizeibeamten, die während der meisten Zeit in der Agentur filmten, aus dem Haus gedrängt ist, lässt Glück sich aber doch auf ein Gespräch ein.
Eine Frau weist ihn darauf hin, dass ein Gutachten im Auftrag des Bundestages die Verfassungsmäßigkeit von Hartz IV in Frage stellt. "Das ist ein Gesetz, das ich umzusetzen habe", erklärt er seine Position. "Das ist ein gefährlicher Satz", sagt eine Frau, "das hab ich in Deutschland schon mal gehört". Darüber, ob das Gesetz moralisch in Ordnung ist, will Glück nicht diskutieren. Eine andere Frau fordert von Glück "Hurenseminare von der Arbeitsagentur und anschließend die Vermittlung in Clubs", weil ja nach Hartz IV praktisch jeder Job zumutbar sei. "Ich werde Sie nicht vermitteln", sagt Glück zu der Forderung.
Nach etwa eineinhalb Stunden ist die Aktion Agenturschluss beendet, die meisten Beteiligten sind zufrieden. Die Mitarbeiter der Agentur können wieder ungestört dem Fördern und Fordern nachgehen, die Demonstranten konnten ihre Botschaft an die Zielgruppe bringen. Die lautet vor allem, dass "1-Euro-Jobs" keine Jobs sind, sondern erzwungene Arbeitsgelegenheiten, die den Weg zu Dumpinglöhnen freimache. "Viele haben uns zugehört, es gab nur wenig Sprüche", freut sich eine Demonstrantin. Einer dieser Sprüche war das alte "Geht doch was arbeiten". Von einem Erwerbslosen in der Agentur für Arbeit, die im Dezember fast 4,5 Millionen Arbeitslose verwaltete, formuliert, entbehrt er nicht einer gewissen Komik.
Die meisten Demonstranten waren auch zufrieden, weil die Agentur für kurze Zeit tatsächlich geschlossen und damit "in den Ablauf der Erwerbslosenbürokratie" eingegriffen wurde, wie es im Aufruf zu der Aktion als Ziel formuliert wurde. Das erledigten aber nicht die Demonstranten, sondern die Polizei. "Das Problem ist, dass wir die und die Kunden nicht unterscheiden können", erklärt ein Beamter seinem Kollegen. "Das System hat sich selbst geschlossen", grinst einer der Demonstranten.
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