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WebWecker Bielefeld , 05.01.2005 :

Zeugnisse aus dem Untergrundarchiv

Oneg Schabbat, so heißt die Ausstellung über das Untergrundarchivs des Warschauer Ghettos, die ab 9. Januar in der Ravensberger Spinnerei zu sehen ist. Neben der Ausstellung gibt es ein Rahmenprogramm, das zwei Täter in den Fokus nimmt

Von Manfred Horn

Oneg Schabbat: Das war der Name einer konspirativen Gruppe im Warschauer Ghetto. Dort, wo zwischen 1940 und 1943 über eine halbe Million Menschen hin verschleppt wurden, von denen nur wenige Tausend überlebten, trafen sich die "Freunde des Samstags". Schriftsteller, Geistliche, Lehrer und Sozialarbeiter – sie alle arbeiteten an einer Chronik des Grauens. Politisch gehörten sie völlig unterschiedlichen Richtungen an, das Interesse an der Chronik einte sie. Gesammelt wurden zwischen über 25.000 Blätter und 70 Fotos. Festgehalten wurde der Alltag, zusammengetragen wurden sowohl amtliche Dokumente wie auch persönliche Dokumente einzelner Ghettobewohner. Ausweise, aber auch Schulaufsätze und Tagebücher gehörten dazu. Auf diese Weise dokumentierte die Gruppe die wirtschaftliche und kulturelle Tätigkeit im Ghetto.

Oneg Schabbat sammelte die Unterlagen selbst, bekam auch vieles zugesteckt. In Anbetracht des Todes vertrauten viele Ghettobewohner der Gruppe ihre persönlichen Unterlagen an. Und manchmal schwärmten Gruppenmitglieder aus, um in der Ghettobevölkerung Fragen zu stellen. Das Forschungsprojekt trug den Namen "Zweieinhalb Jahre (Krieg)". Ein wissenschaftliches Vorhaben unter schwierigsten, illegalen Bedingungen, das Oneg Schabbat nicht mehr Ende bringen konnte.

Oneg Schabbat sammelte auch Nachrichten über umliegende Ghettos in Polen. Als die Deportationen begannen, schlug die Gruppe Alarm und informierte unter anderen die polnische Exilregierung in London. Viele der Oneg Schabbat-Mitglieder nahmen am Aufstand im Ghetto teil, die meisten überlebten ihn nicht. Oneg Schabbat-Gründer Emanuel Ringelblum wurde am 7. März 1944 von der deutschen Polizei in seinem Versteck entdeckt und getötet. Von Ringelblums engeren Mitarbeitern überlebten nur drei Personen.

Was aber blieb, war das Archiv. Die Gruppe hatte es an drei verschiedenen Stellen im Ghetto gut versteckt. Man mauerte das Material unter anderem in zwei großen Milchkannen im Keller einer Schule ein. Gut zwei Drittel des Archivs konnte so nach dem Krieg geborgen werden. Heute ist das sogenannte "Ringelblum-Archiv" das Herzstück des Archivs des Jüdischen Historischen Instituts in Warschau. Inzwischen ist die Sammlung auf der UNESCO-Liste "Memory of the word", ein papiernes Weltkulturerbe.

Die Ausstellung, die ab 9. Januar im kleinen Saal der Ravensberger Spinnerei zu sehen sein wird, kann nur ein Ausschnitt des Materials zeigen. Das aber ist sehenswert: Viele Zeugnisse sind dokumentiert, die die Normalität des absoluten Ausnahmezustands spiegeln. Einerseits die Fotos und Schriftstücke der im Ghetto eingesperrten Juden. Andererseits die Bekanntmachungen der Nationalsozialisten. Sie mussten die Ghettobevölkerung steuern und ruhig halten, dazu brauchten sie eine funktionierende Öffentlichkeitsarbeit.

Die Ausstellung wird in Bielefeld vom Verein zur Aufarbeitung der Geschichte der deutschen Wehrmacht gezeigt, die vor zwei Jahren auch schon die Ausstellung zu den Verbrechen der Wehrmacht präsentiert hatte. Ergänzend gibt es einige Schautafeln zu den gebürtigen Detmolder Jürgen Stroop. Er war SS-Brigadeführer und Generalmajor der Polizei und als solcher an der Räumung des Warschauer Ghettos im April 1943 beteiligt. Er meldete anschließend: "Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk in Warschau mehr." Der Bielefelder Historiker Hans-Walter Schmuhl bereitete zusammen mit einer Gruppe Studierenden Tafeln zu Stroop vor, die die Oneg Schabbat-Ausstellung ergänzen.

Neben der Ausstellung wurden einige Veranstaltungen vorbereitet. So findet am Donnerstag, 20. Januar eine Lesung mit Film statt. Heribert Schwan und Helgard Heindrichs beleuchten das Leben des SS-Mannes Josef Blösche. Der war an Massenhinrichtungen und Deportationen beteiligt und ermordete Hunderte. Der WDR-Journalist und die Psychologin suchten nach Antworten, die sie in einem Buch veröffentlichten und an diesem Abend vorstellen.

Ein Vortrag über die Rolle des Jürgen Stroop bei der Niederschlagung des Ghettoaufstands sowie über seine Haft und seinen Prozess in Warschau hält am Donnerstag, 27. Januar, Jürgen Hensel vom Jüdischen Historischen Institut Warschau. Schließlich findet am 30. Januar eine Lesung mit Stefan Gohlke vom Stadttheater statt: "Großer Gesang vom ausgerotteten jüdischen Volk." Ein Poem des jüdischen Lehrers und Dichters Jizchak Katzenelson, der mit seiner Frau und den drei Kindern im Warschauer Ghetto eingesperrt war und sich am Aufstand beteiligte. Er wurde 1944 in Auschwitz umgebracht, sein Poem überlebte, weil er es in drei Flaschen verpackt unter einem Baum vergrub.

Die Ausstellung "Oneg Schabbat" ist zu sehen im kleinen Saal der Ravensberger Spinnerei/Volkshochschule, vom 9. Januar bis 12. Februar 2005.

Öffnungszeiten: Montag bis Samstag 8 bis 12 Uhr, Sonntag 8 bis 18 Uhr. Der Eintritt ist frei.

Offene Führungen:

Donnerstag, 13. Januar, 18 Uhr
Sonntag, 23. Januar, 11 Uhr
Donnerstag, 3. Februar, 18 Uhr

Treffpunkt ist jeweils der kleine Saal der VHS.

Weitere Gruppenführungen sind möglich, hier ist eine vorherige telefonische Anmeldung nötig: Heinz Deppermann: (0521) 516963.

Veranstaltungen:

Der SS-Mann Josef Blösche. Donnerstag, 20. Januar, 19.30 Uhr, Murnausaal.

Der Detmolder Jürgen Stroop und der Aufstand im Warschauer Ghetto. Donnerstag, 27. Januar 2005, 19.30 Uhr, Vortragssaal des Historischen Museums.

Großer Gesang vom ausgerotteten jüdischen Volk. Lesung am Sonntag, 30. Januar, 11 Uhr, Murnausaal, mit anschließender Führung.

Auch das Cafe Parlando, Wittekindstraße, führt einige Veranstaltungen anläßlich des Holocaust-Gedenktages am 27. Januar durch (siehe WebWecker-Artikel).

Weitere Informationen: www.oneg-schabbat.info


webwecker@aulbi.de

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