Lippische Landes-Zeitung ,
05.01.2005 :
Post aus der Vergangenheit
Zwei polnische Zwangsarbeiterinnen erinnern sich an ihre Zeit auf der Domäne Schieder
Von Marianne Schwarzer
Schieder-Schwalenberg. Auf dem vergilbten Briefumschlag fehlt die Briefmarke. "Domene Schider Kras Detmold in Lippe (Elleking)", lautet die Adresse. Ohne Postleitzahl. Der Brief kam dennoch bei Familie Oehlerking auf der Domäne in Schieder an. Er ist Teil einer Korrespondenz zwischen polnischen Zwangsarbeitern und ihren ehemaligen Arbeitgebern. Spuren der Geschichte.
Der Siekholzer Ulrich Oehlerking ist 1944 auf der Domäne in Schieder geboren. Sein Vater Hans war der Domänenpächter. Beide Eltern sind längst verstorben, aber noch heute bekommt Oehlerking manchmal Post aus Polen. Er hat sie säuberlich abgeheftet. Der jüngste Brief kam im vergangenen Juli. "Meine Eltern haben während der Kriegszeit bei Ihren Eltern gearbeitet", schreibt eine Teresa Rosiak. Sie bittet um Bestätigungen, dass sie, ihre Schwester und ihre Eltern während der Kriegszeit in Schieder "gelebt, gewohnt und gearbeitet haben". "Diese Bestätigungen sind für die Rente in Polen wichtig", weiß Ulrich Oehlerking. Ein gutes Dutzend Mal schon hat er sich um solche Bescheinigungen gekümmert. Auch in Kriegszeiten war die deutsche Bürokratie gründlich: Anhand der alten Invalidenversicherungskarten, die Ulrich Oehlerking aufgehoben hat, lässt sich die Arbeit der Polen nachweisen.
"Janina war meine Busenfreundin"
Inge Oehlerking
Ulrich Oehlerking ist zu jung, um sich selbst an die polnischen Helfer zu erinnern. Aber seine ältere Schwester Inge weiß noch, wie es damals war: "Bei uns haben ganz viele Leute aus Polen und Slowenien gearbeitet. Ich wurde 1943 mit Janina eingeschult. Sie war meine Busenfreundin," erzählt die Wahl-Münchnerin der LZ am Telefon. Die beiden Mädchen teilten viel miteinander - selbst die Kopfläuse. "Ich weiß noch, wie meine Mutter sagte: ,Die hast Du von Janina`." An viele Details kann sich Inge Oehlerking heute nicht mehr erinnern. "Ich weiß nur, dass die Familien für sich lebten und meine Mutter zu Weihnachten für jede Familie eine Tüte mit Keksen gebacken hat."
Schlecht scheint es den Polen in Schieder nicht ergangen zu sein: "Ich muss Ihnen sagen, dass unser Aufenthalt bei Ihnen war sehr glücklich, Sie waren sehr gut, alles für uns, nicht nur für uns, aber für alle Leute, die bei Euch arbeiteten," so schreibt Janinas Mutter Anna Wozniak 1988 an die inzwischen verstorbene Pächterfrau Elisabeth Oehlerking.
Erinnerungen aus erster Hand sind heute rar. Doch über Umwege gelang es der LZ, Kontakt zu zwei der Polinnen zu knüpfen. Czewslawa Poprawska war 15 Jahre alt, als ihr 1940 nach Deutschland deportierter Vater seine Familie 1942 nachkommen ließ. "Die Deutschen haben uns würdig empfangen und sich auch um meine kleinen Schwestern gekümmert", erinnert sie sich. Die Arbeit auf dem Gut für die Eltern war hart. "Aber ich war ja erst 15, darum musste ich keine Feldarbeit verrichten. Ich habe im Haus und in der Küche geholfen."
Nicht immer gabs genug zu essen. "Manchmal haben wir auch Essen gestohlen. Aber es gab einen einheimischen Müller, der Mehl und Mais geschmuggelt hat, der hat uns geholfen. Mitunter bekamen wir von den Deutschen zusätzliche Fleischmarken oder Kleidung, manchmal sogar Arznei."
"Es gab nur zwei Betten"
Anna Gebicka
So positiv klingen die Erinnerungen an die Zeit in Schieder bei Anna Gebicka nicht. Ihre Familie musste in Polen 1942 Knall auf Fall alles stehen und liegen lassen und wurde zwangsumgesiedelt - nur mit ein bisschen Handgepäck. Sie war damals 24 Jahre alt und erinnert sich mit viel Bitterkeit: "Die Arbeit war schwer, besonders im Herbst und Winter. Wir haben 10 bis 12 Stunden am Tag gearbeitet, manchmal auch an Feiertagen."
Sie lebten sehr beengt: "Da war ein Zimmer und eine gemeinsame Küche für zwei Familien. Es gab nur zwei Betten, also schliefen wir Erwachsenen auf dem Boden und die Kinder in den Betten." Auch Anna Gebicka und ihre Familie stahlen Lebensmittel, vor allem im Winter, wenn die Vorräte zur Neige gingen. "Manchmal bekamen wir von den Deutschen aber auch Zucker und Schokolade."
Zwei Frauen, zwei Schicksale: Beide schlugen das Angebot der Amerikaner bei Kriegsende aus, nach Übersee zu gehen. Sie wollten einfach nur nach Hause, wo sie nur noch ein ausgeplündertes Heim vorfanden. "Es gab noch nicht einmal eine Schlafstelle",erinnert sich Anna Gebicka. Auf einem Hektar Land baute sie sich mit ihrem Mann wieder eine Existenz auf. Heute lebt sie von einer Kranken-Rente.
Czewslawa Poprawska hat lange als Näherin gearbeitet und ist heute pensioniert. Ihr Leben lang hat sie bereut, das Angebot der Amerikaner nicht angenommen zu haben. Was bleibt von der Zeit in Schieder? Wenige Euro Rente und die Erinnerung. Und ein paar vergilbte Briefumschläge.
Stichwort / Recherche
Die meisten der Zwangsarbeiter von der Domäne Schieder zogen zurück in die Gegend von Konin, einer Kleinstadt ein paar hundert Kilometer östlich von Frankfurt an der Oder. Das geht aus den Briefen hervor, die der Sohn des Domänenpächters, Ulrich Oehlerking, gesammelt hat. Sie stammen hauptsächlich aus den 80er und 90er Jahren, manch ein Absender dürfte mittlerweile verstorben sein.
Um eine langwierige Recherche per Briefpost zu umgehen, wandte sich die LZ an die deutsche Partnerstadt von Konin: Herne in Westfalen. Die Verwaltung in Herne stellte den Kontakt zu Marcin Szubert von der Stadtverwaltung Konin her. Er ist Beauftragter für die Städtepartnerschaft und spricht fließend Deutsch. "Ich helfe Ihnen gerne, geben Sie mir einfach die Namen der Leute, und ich versuche, sie ausfindig zu machen."
Gesagt, getan: Per E-Mail erhielt Szubert nicht nur die Namensliste, sondern auch einen Fragenkatalog für die ehemaligen Zwangsarbeiter von der LZ. Nur eine Woche später kam eine E-Mail aus Konin: "Wir haben zwei Frauen gefunden: Anna Gebicka und Czeslawa Poprawska. Die Antworten auf Ihre Fragen sind dabei, leider auf polnisch geschrieben." Die LZ beauftragte eine Übersetzerin, und nun liegen zwei Zeitzeugenberichte vor.
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