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Das kritische Tagebuch ,
07.05.2001 :
... unter Verweis auf die Unabhängigkeit der Justiz
Kommentar von Hans-Detlev von Kirchbach
"Es gab die Hausdurchsuchung in der alten Pauline und bei Einzelpersonen. Wir lehnen das auf’s Schärfste ab und finden eigentlich auch, dass Herr Titho die Klage zurücknehmen könnte und sich eigentlich einer Auseinandersetzung um seine Verantwortung stellen könnte."
Dieser Appell der Detmolder Arbeitsgemeinschaft Fossoli wird wohl ungehört verhallen. Der 90-jährige Karl Friedrich Titho war auch gar nicht zu gegen, als bei einer Veranstaltung am vergangenen Wochenende in seiner Heimatgemeinde Horn-Bad Meinberg bei Detmold seine Rolle als hochrangiger SS-Funktionär und KZ-Lagerleiter in den Niederlanden und in Italien diskutiert wurde.
Weil er sich durch Begriffe wie "Nazi-Verbrecher" und "Henker von Fossoli" auf einer Internet-Seite beleidigt fühlte, auf der seine NS-Vergangenheit dargestellt wurde, erstattete er im August letzten Jahres Strafanzeige wegen übler Nachrede gegen die Detmolder Kulturinitiative "alte Pauline" und zwei ihrer Vorstandsmitglieder. Daraufhin erließ das Amtsgericht Detmold einen Durchsuchungsbefehl für die Vereinsräume der "alten Pauline" und die Privatwohnungen der Vereinsvorständler. Höchst ungewöhnlich bei einer Klage wegen einer privaten Ehrverletzung, die ansonsten höchstens eine Unterlassungsklage nach sich zieht.
Freilich geschah zunächst acht Monate nichts, bis schließlich am 06. April 2001 etwa 50 Beamte des Bielefelder Staatsschutzes und der Einsatzhundertschaft Bielefeld drei Detmolder Privatwohnungen und das "Autonome Kultur- und Kommunikationszentrum alte Pauline" durchsuchten. Die Durchsuchung erklären sich die Betroffenen auch mit dem seit langem gespannten Verhältnis zur Staatsschutzabteilung der Kriminalpolizei. Denn die linke Kulturinitiative tritt seit langem den Verharmlosungen der regionalen Neonazi-Szene entgegen, die es laut Staatsschutz – abgesehen von einzelnen Verirrten – gar nicht gibt.
Karl Friedrich Titho, Mitglied der SS seit 1932, wurde 1951 in den Niederlanden unter anderem wegen der Erschießung von etwa 70 sowjetischen Kriegsgefangenen im KZ Amersfoort zu sieben Jahren Haft verurteilt. Als Leiter des Polizei- und Durchgangslagers Fossoli bei Modena in Norditalien war er mitverantwortlich für die Deportation tausender Juden und Antifaschisten in Vernichtungslager wie Bergen-Belsen und Auschwitz. Während seiner Kommandantur wurden zudem 69 Gefangene als Vergeltungsaktion für einen Angriff italienischer Partisanen erschossen. Die italienische Zeitung "Il Resto del Carlino" zitierte Zeitzeugen aus dem norditalienischen Städtchen Carpi in der Nähe des ehemaligen Lagers. Als "Henker von Fossoli" sei Titho berüchtigt gewesen. Dieser schreckerfüllte Beiname, den Titho seiner Zeit am Ort seines Wirkens genoss, war nun allerdings eine Begründung für die Beleidigungsklage und die Durchsuchung.
Aus den Niederlanden wurde Titho bereits 1953 – nach Verbüßung von zwei seiner sieben Jahre Haft – in die BRD abgeschoben. Die deutsche Justiz belästigte ihn seither nicht weiter, wie die meisten der willigen Helfer Hitlers. Ein italienischer Haftbefehl gegen Titho und seinen Lager-Stellvertreter Haage aus dem Jahre 1954 wurde in Deutschland unter Berufung auf das Auslieferungsverbot des Grundgesetzes nicht vollzogen. Ein acht Jahre hingezogenes Ermittlungsverfahren schlug die Dortmunder Zentralstelle 1971 nieder, da Titho nicht zu beweisen sei, von der Tötung der deportierten jüdischen Opfer in den Vernichtungslagern gewusst zu haben.
Historische Tatsachen, die die Initiatoren der Veranstaltung von der Detmolder "Arbeitsgemeinschaft Fossoli" mit einer umfangreichen Dokumentation belegten. Schließlich sollte auch den zensurfreudigen Ortsbehörden kein Anlass gegeben werden, gegen die unbequeme Geschichtsarbeit erneut einzuschreiten. Die lippische Provinz reagiert nämlich mit Rage auf die Störer des lokalen Schweigegebotes. Nach der Durchsuchungsaktion der eifrigen Staatschützer verbot dann auch die Stadt Horn-Bad Meinberg den Aushang der Veranstaltungsplakate, weil darauf Karl Friedrich Titho als „Täter“ bezeichnet wurde – denn in Deutschland sei Titho nie gerichtlich als Täter verurteilt worden.
Das stimmt – aber in Holland! Auf Anraten seines Anwaltes bat Titho im italienischen Fernsehen Opfer und Angehörige immerhin um Verzeihung; allerdings erst als Reaktion auf die öffentliche Debatte. Schließlich versuchte auch der für das Plakat-Verbot verantwortliche CDU-Bürgermeister Block, die Wogen zu glätten und sich an die Spitze der Bewegung zu stellen, um ihr gleichzeitig auch die Spitze abzubrechen:
"Die Frage, in wie weit jemand Schuld hat oder nicht, müsste in einem konkreten Verfahren festgestellt werden. Denn wir haben einen Grundsatz bei uns, der ist ein rechtsstaatlicher Grundsatz, der natürlich nicht im Faschismus geherrscht hat: keine Strafe ohne Schuld! Und ich halte es für richtig, dass man die Frage stellt, 'hat unsere Justiz richtig gehandelt?' Das ist korrekt. Muss man auch! Und ich bin selbst der Auffassung und entsetzt darüber, was fürchterliche Juristen in der Nachkriegszeit in Deutschland angerichtet haben. Die entscheidende Frage ist, ob wir Verantwortung insgesamt für unsere Geschichte zeigen oder nicht. Und da halte ich es schon für richtig, dass wir auch dementsprechende Symbole und Zeichen setzen."
Um ein solches Zeichen zu setzen, will sich der Bürgermeister für eine entsprechende Straßenbenennung in seiner Gemeinde verwenden. Etwa nach dem wahrscheinlich jüngstem Opfer der Titho’schen Lagerherrschaft in Fossoli: Gina Labi, geboren am 02. April 1944 wurde mit dem Transport am 20. Mai 1944 von Fossoli nach Bergen-Belsen deportiert und dort ermordet. Ein nie gesühnter Kindermord im deutschen Staatsauftrag.
Die Detmolder Justiz, die auch wegen der Beteiligung an solchen Deportationen über ein halbes Jahrhundert hinweg nie zu einem Anklageverfahren gegen Karl Friedrich Titho kam, hat ihr Zeichen mit dem massiven Vorgehen gegen die unbequeme Aufklärungsinitiative freilich schon gesetzt: Der Vizepräsident des Detmolder Landgerichtes wollte auf Anfrage nicht erklären, warum bei einer privaten Beleidigungsklage eine Hausdurchsuchung angeordnet wurde; unter Verweis auf die Unabhängigkeit der Justiz. Damit hat er wohl recht – juristisch!
wdr3@wdr.de
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