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Landtag Nordrhein-Westfalen , 28.05.2001 :

Kleine Anfrage der Abgeordneten Ute Koczy und Sybille Haussmann / Staatsschutzaktion in Detmold auf Antrag eines ehemaligen NS-Verbrechers?

Am 6. April wurden in Detmold das Autonome Kultur- und Kommunikationszentrum "alte Pauline" sowie Privatwohnungen von Mitgliedern der "Kulturinitiative Detmold" durchsucht. Es wurden Computer, Datenträger, Vereinsunterlagen der K.I.D. e.V. und Flugblätter beschlagnahmt. Anlass war die Anzeige des NS-Verbrechers Karl Friedrich Titho, der sich durch die Veröffentlichungen über seine Vergangenheit und durch die Bezeichnung als "Nazi-Mörder" und "Henker von Fossoli" verleumdet sieht.

Karl Friedrich Titho wurde in den Niederlanden wegen Misshandlungen im KZ Herzogenbosch (Vught) und wegen der Mitwirkung an der Erschießung von mind. 65 sowjetischen Kriegsgefangenen verurteilt. Diese Verurteilungen beziehen sich auf die Zeit zwischen 1942 und Herbst 1943. 1944 wurde der SS-Untersturmführer Titho Lagerleiter des Polizeidurchgangslagers in Fossoli (Italien) und später in Bozen. Von dort wurden Juden und Oppositionelle in die deutschen Vernichtungslager deportiert. Er war an der Vorbereitung der Erschießung von 67 italienischen Gefangenen beteiligt.

Nach seiner Verurteilung in den Niederlanden wurde Titho in den fünfziger Jahren nach Deutschland abgeschoben. Seit dieser Zeit lebt er im lippischen Horn. In den siebziger Jahren ermittelte zwar die "Zentrale Stelle im Land Nordrhein-Westfalen für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen bei der Staatsanwaltschaft Dortmund", stellte das Verfahren aber 1971 ein. In der Begründung der Staatsanwaltschaft wurde zwar festgehalten, dass man seine Unkenntnis über das Schicksal der deportierten Juden für "in hohem Maße unglaubhaft" hält, dass man aber dem SS-Offizier unterstellte, dass "die besondere Situation der Juden in Italien und das nahende Kriegsende es für den Beschuldigten möglich erscheinen lassen konnte, dass die aus Italien deportierten Juden nicht mehr getötet werden würden". Auch zwei im Jahre 1996 aufgenommene Verfahren stellte die Dortmunder Zentralstelle 1998 bzw. 1999 wieder ein.

Nachdem es in den letzten Jahren zur verstärkter Aufmerksamkeit gegenüber ehemaligen Naziverbrecher kam und auch die Vergangenheit von Karl Friedrich Titho öffentlich hinterfragt wurde, reagierte er über seinen Rechtsanwalt. Wie uns bekannt ist, waren die Durchsuchungsbefehle durch das Amtsgericht Detmold bereits am 11. August 2000 ausgestellt worden.

Wir fragen deshalb die Landesregierung:

Wie bewertet die Landesregierung die Verfahrensweise der Dortmunder Zentralstelle im Falle von Karl Friedrich Titho?
Welches war der Gegenstand der Ermittlungsverfahren gegen Titho von 1996 und warum wurden sie eingestellt?

Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für eine Überprüfung der Verfahren im Fall Titho, die durch die Dortmunder Zentralstelle eingestellt wurden?

Aufgrund welcher Beschuldigungen veranlasste die Oberstaatsanwaltschaft die Hausdurchsuchungen in der "alten Pauline" sowie bei den Mitgliedern der Kulturinitiative Detmold?

Wie will die Landesregierung auf den entstandenen Eindruck reagieren, dass ehemalige NS-Tätern mehr Unterstützung durch die Justizbehörden erfahren, als die Aufklärungsarbeit durch engagierte Bürgerinnen und Bürger?

Ute Koczy, MdL; Sybille Haussmann, MdL (Drucksache 13/1272, Landtag NRW, 13. Wahlperiode)


email@landtag.nrw.de

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