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Lippische Landes-Zeitung , 14.07.1993 :

Erstes Massenvernichtungsgesetz wurde vor 60 Jahren verabschiedet / Zwangssterilisierte klagen an

Detmold (mmh). Nur wenige Menschen in Deutschland wissen, dass die "Reichsregierung" vor genau 60 Jahren ihr erstes Massenvernichtungsgesetz verabschiedet und damit eine grausame Maschinerie in Gang gesetzt hat. "Gesetz zur Verhinderung erbkranken Nachwuchses" wurde das Machwerk vom 14. Juli 1933 genannt. Es hatte den Tod und die brutale und willkürliche Verstümmelung mehrerer hunderttausend Männer und Frauen zur Folge. Klara Nowak (71) ist eine der Betroffenen. Sie gründete 1987 in Detmold den Bund der "Euthanasie"-Geschädigten und Zwangssterilisierten.

Heute gehören der bundesweiten Vereinigung mehr als 800 Mitglieder an. In den letzten Jahren wurden in den alten und neuen Bundesländern insgesamt sieben Gesprächskreise aufgebaut. Jahrelang haben die Betroffenen nach Informationen von Klara Nowak geschwiegen, versucht, alleine mit ihrem Schicksal fertig zu werden. Sie selbst ist ihrem Beruf als Krankenschwester nachgegangen.

Klara Nowak hat das Schweigen 1987 endgültig gebrochen. Neben zahlreichen anderen Aktivitäten hat sie es geschafft, eine Dokumentation über das Leben verschiedener Opfer unter dem Titel "Ich klage an" zusammenzustellen. Obwohl auch Klara Nowak gesundheitlich angeschlagen ist, verbringt sie täglich noch immer viele Stunden im Büro. Sie diktiert unendlich viele Briefe, formuliert Petitionen, besucht in Begleitung ihrer treuen Mitarbeiterin Marga Heß hilfsbedürftige Mitglieder und streitet mit Politikern und Organisationen um die Anerkennung der Zwangssterilisierten als Opfer des Nazi-Regimes.

"Das Unrecht muss in die ganze Welt hinaus geschrieen werden", sagt Klara Nowak. Das gelte auch für den heutigen Tag. Die Bundesvorsitzende ist in den letzten Jahren von "Pontius zu Pilatus" gelaufen, ohne durchschlagenden Erfolg. Wenn sie das Gefühl hat, dass ihre Kräfte nachlassen, lässt sie ihren Befürchtungen freien Lauf: "Ich habe manchmal das Gefühl, dass man mir die Anerkennung erst auf das Totenbett legt."

Auch Marga Heß räumt ein, dass die Arbeit immer anstrengender und schwieriger werde. Sie unterstützt die Bundesvorsitzende, wo es nur geht. Sie begleitet sie auf vielen Reisen, ermuntert sie, durchzuhalten. Nach der deutsch-deutschen Vereinigung sind dem Verband zahlreiche neue Mitglieder beigetreten. Klara Nowak und Marga Heß schätzen, dass heute noch 45.000 Menschen, die im Dritten Reich willkürlich zwangssterilisiert wurden, am Leben sind. Sie wollen ihnen ihr schweres Los erleichtern, indem sie für deren soziale Absicherung auch weiter "betteln gehen". Beide Frauen empfinden es als "beschämend, wie die Bundesregierung die seit langem überfällige Entscheidung vor sich herschiebt".

Auch heute wollen Klara Nowak und ihre Mitstreiterinnen arbeiten. "Grund zum Feiern haben wir an diesem Tag weiß Gott nicht." In den kommenden Wochen sind zahlreiche Veranstaltungen in einigen großen Städten der Bundesrepublik geplant. Außerdem müssen am Sitz des Verbandes in der Schorenstraße nebenbei auch noch viele Verwaltungsaufgaben erledigt werden.


Detmold@lz-online.de

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