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Warburger Kreisblatt / Westfalen-Blatt , 21.07.2014 :

Ein Mann mit unerschrockenem Mut / 20. Juli 1944: 70 Jahre danach gedenken 200 Warburger des NS-Widerstandskämpfers Josef Wirmer

Von Carsten Reinhardt

Warburg (WB). 200 Menschen haben gestern in Warburg der Opfer des Widerstandes gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft gedacht. Anlass war der 70. Jahrestag des gescheiterten Attentates auf Adolf Hitler. Zu den maßgeblichen Kräften an jenem 20. Juli 1944 hatte der Jurist Josef Wirmer gehört. Wirmer war in Warburg aufgewachsen und 1920 Abiturient am Gymnasium Marianum.

Bei der Gedenkveranstaltung in der Aula des Gymnasium Marianum würdigten mehrere Redner das konsequente und mutige Vorgehen des NS-Gegners, der wegen seiner Unbeugsamkeit und seines entschlossenen Handelns am 8. September 1944 von den Nazis hingerichtet worden ist.

Zahlreiche Nachfahren Wirmers nahmen an der Gedenkstunde teil, darunter auch seine Tochter Maria Hermes und sein Sohn Anton Wirmer. An der Wirmer-Gedächtnisleuchte auf dem benachbarten Brüderkirchhof legten Bürgermeister Michael Stickeln und Frank Scholle, Schulleiter des Gymnasiums, einen Kranz nieder.

Die Gedenkansprache hielt Dr. Heribert Schlinker. Sein Vater Rudolf und Ernst Wirmer, Bruder des Widerstandskämpfers, hatten vor mehr als 90 Jahren eine bis heute währende Freundschaft beider Familien begründet. "Die Jahre in Warburg müssen Josef Wirmer stärker geprägt haben, als bisher angenommen", führte Schlinker aus. Als grundlegend nannte er den katholischen Glauben, die gesamthumanistische Bildung am Gymnasium Marianum und das Elternhaus des später in Berlin aktiven Juristen an. Diese Grundsätze seien zur Richtschnur seines politischen und zwischenmenschlichen Handelns geworden, "und als die deutsche Politik immer mehr zerbrach, musste er gemäß seinen Grundsätzen handeln".

Als Beleg für diesen Mann "mit unerschrockenem Mut" präsentierte Schlinker in der Aula Filmausschnitte von dem Prozess am Volksgerichtshof, die einen souveränen und aufrechten Josef Wirmer und einen völlig außer Kontrolle geratenen Scharfrichter Roland Freisler zeigen - eindrucksvolle Szenen und Dialoge, die eindrucksvoll die Persönlichkeit Wirmers widerspiegeln. Schlinker sagte abschließend, die Deutschen dürften nie vergessen, dass sie heute ohne den Opfermut dieser Männer nicht so da stehen könnten und würden. "Diese Männer haben mit ihrem Blut die Westen der nachfolgenden Generationen reingewaschen", beschrieb er das Vermächtnis des 20. Juli 1944.

Die angehende Historikerin Magdalena Hermes, Urenkelin des Widerstandskämpfers, skizzierte an Hand der Biografie Wirmers, welch zentrale Bedeutung er als führendes Mitglied der Widerstandsbewegung hatte. Er habe als Bindeglied und Brückenbauer gewirkt, sagte die 24-jährige Geschichtsstudentin aus Bonn. Als Gegner der ersten Stunde habe es Wirmer verstanden, ein "Netzwerk der Regime-Gegner" aufzubauen und zum 20. Juli 1944 hin für eine "Anbindung des zivilen an den militärischen Widerstand" zu sorgen. Dies habe er durch seine vielen Kontakte und Verbindungen ermöglichen können, aber eben auch dadurch, dass er sich in den Jahren davor nicht einschüchtern ließ und seinen demokratischen Grundsätzen treu blieb. Der zivile Widerstand, für den Wirmer stehe, habe erst die Voraussetzung für ein militärisches Eingreifen geschaffen, erklärte Magdalena Hermes unter Verweis auf die rechts- und sozialstaatlichen Vorstellungen ihres Urgroßvaters. Ihr Fazit: "Der Widerstand hat Orientierung für den Neuanfang nach 1945 geschaffen." Bürgermeister Michael Stickeln betonte, der Widerstand des 20. Juli 1944 habe der Welt auch deutlich gemacht, dass es noch ein anderes Deutschland gab als das der Unterdrücker, Mörder, Henker. Josef Wirmer stehe hier "als ein bleibendes Beispiel beeindruckender menschlicher Größe, beispielhafter moralischer Stärke und existenzieller Zivilcourage". Josef Wirmers Sohn Anton Wirmer sagte, sein Vater sei für die Freiheit Deutschlands gestorben. Seine Familie habe eine besondere Beziehung zu der Stadt Warburg und dem Gymnasium, weil sie frühzeitig - bereits 1949 und damit weit eher als an anderen Orten Nachkriegsdeutschlands - das Gedenken ermöglicht hätten, sagte der Ministerialdirektor a. D.: "Dieser Akt der Solidarität war von großer Bedeutung für unsere Familie und ist es bis heute."

Gewürdigt wurde im Rahmen des Gedenkens auch ein weiterer Marianer, der sich entschlossen widersetzt hat: Wilhelm-Emanuel Freiherr von Ketteler (Abiturjahrgang 1926). Er war wegen seiner politischen Haltung als Diplomat 1938 bei den Nazis in Ungnade gefallen und deswegen von der Gestapo ermordet worden.

Bildunterschrift: Zahlreiche Nachkommen von Josef Wirmer haben Sonntag an der Gedenkveranstaltung zum 70. Jahrestag des 20. Juli 1944 teilgenommen. Das Foto vor den Mauern des Gymnasium Marianum zeigt von links Andreas Hermes, Dr. Bodo Varnhagen, Anton Wirmer und Maria Hermes (Kinder des Widerstandskämpfers), Julia Nees, Stefan Nees, Vera Wirmer, den Warburger Kinobetreiber Dr. Heribert Schlinker, der die Gedenkansprache hielt, Laurent Wirmer, Urenkelin und Vortragende Magdalena Hermes, Katharina Hermes und Christina Varnhagen.

Bildunterschrift: An der Wirmer-Gedächtnisleuchte auf dem Brüderkirchhof haben Bürgermeister Michael Stickeln (rechts) und Frank Scholle, Schulleiter des Gymnasiums, am Sonntag einen Kranz niedergelegt.

Bildunterschrift: Unerschrocken, souverän, schlagfertig und seinen Grundsätzen treu hat sich Josef Wirmer am 7. und 8. September 1944 beim Prozess gegen ihn verteidigt. Dr. Heribert Schlinker stellte während der Gedenkveranstaltung in der Aula des Marianum damals mitgeschnittene Szenen und Dialoge auf Großbildleinwand vor.


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