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Neue Westfälische 14 - Lübbecke (Altkreis) , 08.03.2014 :

"Sally, du sollst leben, geh!" / Salomon Perel, Autor von "Ich war Hitlerjunge Salomon", zu Gast in der Waldschule

Von Kristine Greßhöner

Espelkamp. Ein Zeitzeuge des Holocausts, ein junger Mann, ein jüdisches Kind, ein Hitlerjunge, ein Wehrmachtssoldat - der 88-jährige Sally Perel vereint sie in sich. Es herrscht Stille im Raum, in dem 180 Jugendliche sitzen.

Zum siebten Mal war Perel in der Waldschule zu Gast und sprach über sein Leben, sein Überleben in Nazi-Deutschland. Karl-Heinz Brandhorst, stellvertretender Schulleiter, und seine Kollegen hatten die Schüler im Unterricht auf den Besuch vorbereitet. "Er kann sie sprachlich packen", sagte Brandhorst hörbar beeindruckt vor der Veranstaltung.

Als der 88-Jährige die Aula-Bühne erklimmt, sich setzt, lächelnd in die Runde blickt und die Begrüßungsworte abwartet, strahlt er Freundlichkeit aus, Güte. Das rundliche Gesicht, die Halbglatze und die wachen Augen unterstreichen den Eindruck. Mit weicher Stimme, gut verständlich, mal laut, dann wieder leise, stets mit Bedacht spricht der ältere Herr. "Ich liebe die Jugend in Deutschland", wird er nach einer Stunde sagen. "Und sie liebt mich auch." Das sehe er an den vielen E-Mails und Freundschaftsanfragen auf Facebook. Ein Bruch im ernsten Thema, alle lachen gelöst.

Eine starre Chronologie lässt Perel in seinem Vortrag hinter sich. Blättert sich routiniert durch sein Manuskript und spricht dabei völlig frei. Sagt Sätze wie den, dass Ausschwitz sich nicht wie Staub von der Kleidung wischen lasse. Und fordert, dass Aktivitäten wie die des Nationalsozialistischen Untergrunds, kurz: NSU, nicht wieder aufkeimen dürfen.

"Der Hitlerjunge wird mich bis zu meinem letzten Lebenstag begleiten."

Die Zeit bei der Hitlerjugend beschreibt er als "Spaltung meiner Seele", schildert, wie er dort "zum Hass erzogen" wurde. Das Erlebte wirkt nach, bis heute lebe er ein Doppelleben. Wirkt er in einem Moment fassungslos, erinnert er sich im nächsten an bohrende Fragen: "Ja, verdammt, warum bin ich als Jude geboren?" Die religiöse Identität materialisiert sich in seiner Beschneidung, die er fast immer zu verstecken wusste.

In Israel habe ein Schüler ihn erregt gefragt, wieso er Hakenkreuze getragen habe. Perel sagt, er sehe es nicht als Verrat an: "Das Schicksal hat mich einfach in die Nazi-Gesellschaft hineingeschleudert." Der Hitlerjunge in seinem Inneren käme immer zurück: "Er wird mich bis zu meinem letzten Lebenstag begleiten." Bis dahin werde er auch über sein Schicksal sprechen: "So lange meine Schuhe mich tragen", schwor er sich, als er in Ausschwitz die aufgereihten Schuhe der getöteten Kinder sah. Jeder müsse ein Mal dort gewesen sein, rät er den Zuhörern. Er spricht sie mit "meine lieben jungen Freunde" an, beschreibt gestenreich: Die Hände erhoben, die Erschießung nah, die Worte von Mutter und Vater im Gedächtnis. Sie hatte gesagt: "Sally, du sollst leben, geh!" Er, der Rabbiner: "Vergiss nie, wer du bist." Und Perel sagt sehr ruhig: "Ich musste mich entscheiden. Ich konnte nicht beide Botschaften erfüllen."

Zur Person

Sally Perel, eigentlich Salomon, wurde 1925 in Peine geboren. Nach seiner Flucht nach Polen wurde er von der Wehrmacht gefangen genommen. Dank seiner guten Deutschkenntnisse konnte er seine jüdische Identität verbergen. Den deutschen Soldaten diente Perel als Dolmetscher. Dann wurde er in eine Schule der Hitlerjugend geschickt. Heute lebt er in Israel.

Bildunterschrift: Sprach am Freitag vor 180 Schülern der neunten und zehnten Klassen: Sally Perel, dessen Autobiografie als Spielfilm verfilmt wurde. Links unten hängt ein kleines Poster seiner Lesereisen, die ihn regelmäßig in deutsche und israelische Schulen führen.

08./09.03.2014
luebbecke@neue-westfaelische.de

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