Solidarische AntifaschistInnen aus OWL ,
10.11.2004 :
Vorbeugen hilft? / Prävention ist Repression
Der Bielefelder Staatschutz setzt Präventionspolitik offensiv durch: 28 Antifaschistinnen sollen erkennungsdienstlich behandelt werden, um sie vor dem Begehen weiterer "Straftaten" abzuhalten. Gestützt wird diese Maßnahme auf mittlerweile eingestellte Strafverfahren wegen Nötigung.
Aber zunächst der Hintergrund:
Am 17.10.2003 fand in dem rechtsextremen Tagungshaus "Collegium Humanum" in Viotho eine Seminarveranstaltung mit dem Neo-Nationalsozialisten Horst Mahler statt.
30 bis 40 AntifaschistInnen fanden sich vor dem Tagungshaus ein, protestierten gegen die Veranstaltung und blockierten symbolisch die Zufahrt zum Tagungshaus. Abgesehen davon, dass ein paar Altnazis sich darüber aufregten nicht ungehindert der antisemitischen und rassistischen Hetze Horst Mahlars lauschen zu können, verlief die Aktion relativ ruhig und die anwesenden Beamten machten zunächst keine Anstalten einzugreifen. Als die Aktion bereits beendet war, nutzte die mittlerweile verstärkte Polizei dann doch noch die Gelegenheit: Sie stellte die Personalien von 28 Personen fest.
Anfang 2004 bekamen diese Personen dann zunächst Voradungen vom Staatsschutz Bielefeld zur Vernehmung als Beschuldigte wegen des Verdachts der Nötigung. Der größte Teil der Beschuldigten ignorierte diese 'Einladung', erschien nicht zum Verhör und bekam daraufhin postwendend eine Vorladung zur Erkennungsdienstlichen Behandlung (ED-Behandlung). Die Anordnung der ED- Behandlung wurde folgendermaßen begründet: "Sie werden in dem Ihnen bekannten Ermittlungsverfahren vom 17.10.2003 als Beschuldigter wegen Nötigung geführt. Nach dem vorliegenden Ermittlungsergebnis wurde die Tat geplant und konspirativ ausgeführt. Das Vorhalten erkennungsdienstlicher Unterlagen ist geeignet die Aufklärung zukünftiger Straftaten zu ermöglichen und den Entschluss zur Begehung weiterer Straftaten zu hemmen" (§ 81b 2. Abs. StPO).
Zugleich war die sofortige Vollziehung der ED-Behandlung angeordnet worden, so dass ein Widerspruch gegen die Maßnahme (wie Im Normalfall) keine aufschiebende Wirkung - bis zur erneuten Überprüfung der Sache - hat. Die Betroffenen beantragten deshalb schnell beim Verwaltungsgericht Minden die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, der auch stattgegeben wurde. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung war damit begründet, dass "ein Hinauszögern der erkennungsdienstlichen Behandlung bis zum Abschluss eines Verwaltungsstreitverfahrens die Maßnahme auf Dauer vereiteln würde". Diese Begründung erschien selbst dem Verwaltungsgericht nicht nachvollziehbar, die Polizei musste den sofortigen Vollzug aussetzen.
Die Einstellung der Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfs der Nötigung änderte jedoch nichts an der Anordnung der ED-Behandlung. ED-Behandlungen können nicht nur zum Zwecke der Aufklärung eines Strafverfahrens, sondern eben auch zum Zwecke des Erkennungsdienstes durchgeführt werden. Alleine die Tatsache, dass eine/r zuvor einmal beschuldigt gewesen ist, reicht aus, um eine erkennungsdienstliche Maßnahme durchzuführen und die Daten zu speichern, um diese Person künftig leichter identifizieren zu können.
Die Widerspruchsverfahren gegen die Anordnung der ED-Behandlung laufen momentan noch. Wenn die Behörden weiterhin darauf bestehen, diese ED- Behandlungen durchzuführen, wird auch weiter dagegen vorgegangen werden.
So weit, so schlecht ... Alles beim Alten?
Dieses Vorgehen der Bielefelder Polizei könnte einfach in die übliche Vorgehensweise, antifaschistischen Widerstand mit staatlicher Repression zu beantworten, eingeordnet werden. Interessant ist für uns aber, wie die ED-Behandlung von Seiten des Staatschutzes begründet wird.
Dies geht aus den Verwaltungsakten zum Verfahren wegen der Anordnung der ED- Behandlung hervor, die einige der Betroffenen mittlerweile Einsicht nehmen konnten und darüber Erstaunliches berichteten. Der Staatschutz konstruiert ein Bedrohungsszenario für die "öffentliche Sicherheit", ausgehend von einer "linken Szene". Logische Konsequenz für den Staatsschutz ist, dass massenhaft unterschiedliche Daten gesammelt werden müssen, um diese "Bedrohung" in den Griff bekommen zu können.
Konkret sieht das Konstrukt folgendermaßen aus:
Die Bullen unterstellen, die Aktion am Collegium Humanum sei geplant gewesen. Als Gründe führen sie an, dass ein Transparent mitgeführt worden sei (dauert ja auch lange, so was zu malen ... ) und die Beschuldigten aus verschiedenen Orten kämen (ergo überörtlich mobilisiert - ganz böse ... ). Folglich könne von keiner spontanen Aktion ausgegangen werden. Ausserdem sei sie auch konspirativ ausgeführt worden, da die "Versammlung" nicht angemeldet worden sei und die Anwesenden sich angeblich teilweise vermummten.
Aus Sicht der Staatsschützer reihe sich die Aktion am Collegium Humanum in eine Reihe weiterer geplanter und konspirativer Vorgehensweisen in der Region ein. Als Beleg werden alle Kundgebungen und Demos in OWL im Jahr 2003 aufgezählt, die nicht angemeldet waren (von Demos bis zu Solidaritätsbekundungen im Zusammenhang mit einem Prozess vor und im Gericht), darüber hinaus Aktionen, bei denen angeblich Straftaten begangen worden seien (z. B. Schmierereien mit Edding an eine Nazikneipe, Plakatieren im Vorfeld einer Demo etc.), die mit Hilfe von erkennungsdienstlichen Unterlagen eventuell hätten aufgeklärt werden können.
Der Staatsschutz konstruiert weiterhin, dass die aufgezählten Straftaten von dem immer gleichen Personenkreis begangen worden seien, der einer "linken Bewegung" angehöre. Diese setze sich aus Personen aus allen autonomen Jugend- bzw. Kultur-Zentren und öffentlichen linken Polit- und Kulturgruppen aus der Region zusammen, diese werden zumindest in der Akte aufgezählt. (Ergo sind alle, die n einem dieser Jugendzentren aus- und eingehen potentielle Szenezugehörige und damit Straftäterlnnen!?)
Diese Personen seien laut Staatsschutz aufgrund bestimmter äußerer Merkmale der Szene zuzuordnen: szenetypische Kleidung und Verhalten, wie z. B. durch das Zusammenwirken als feste Einheit oder durch Aussageverweigerung gemäß der Aufforderung 'Anna und Arthur haltens Maul' (schön wärs ... ). Außerdem sei die Verlinkung der Gruppen im Internet klares Indiz für eine organisierte Szene. Und auch das gemeinsame Vorgehen der Betroffenen in diesem Fall wird als Indiz für die Zugehörigkeit zu einer Szene gewertet. (Tja, da haben die Bullen wohl eine neue Gruppe der "Betroffenen eines Strafverfahrens" geschaffen und wundern sich jetzt darüber, dass die miteinander reden ... )
Zusammenfassend sollen die ED-Behandlungen also, so der Bielefelder Staatsschutz, dazu dienen, einerseits die angeblich von dieser "Szene" begangenen Straftaten aufzuklären und andererseits die Szeneangehörigen davon abzuschrecken, weitere Straftaten zu begehen. Dabei gehen sie davon aus, dass sich gerade junge, polizeilich bisher unbekannte Leute künftig straffrei verhalten, wenn sie damit rechnen müssen, aufgrund von ED-Daten identifiziert werden zu können.
Die Denke der Bullen und auch der Generalverdacht gegen vermeintliche Szeneangehörige ist sicherlich nicht neu. Neu ist auch nicht, dass die Bullen versuchen, ihre Kompetenzen faktisch immer weiter auszudehnen, um sie dann erst im nachhinein legitimieren zu lassen. Neu ist für uns aber, mit welcher Offenheit die Bullen ihre Vorgehensweise begründen.
Frei nach dem Motto 'Vorbeugen hilft' betreibt der Staatsschutz seine Abschreckungspolitik gegen antifaschlstisch aktive Menschen (1) mittels repressiver Methoden. Sie sollen davon abgehalten werden, (weiterhin) Widerstand zu leisten.
Dieses Beispiel ist einzuordnen in eine Reihe von Vorgehensweisen, mit denen versucht wird, antifaschistischen, antipatriarchalen, antirassistischen, antikapitalistischen und anderen staatskritischen Widerstand im Vorfeld durch Einschüchterung zu unterbinden. Dazu zählen z. B. Hausbesuche bei polizeilich bekannten AktivistInnen vor Großereignissen wie in Genua oder Göteborg oder auch vor Castortransporten.
Repressive Prävention, die zukünftige totale Erfassung von Menschen - alles im Dienste der inneren und äußeren Sicherheit
Neben der Einschüchterung geht es beim Datensammeln natürlich auch immer darum, möglichst umfassende Kontrolle über alle Menschen zu bekommen.
Umgesetzt wird der möglichst komplette Zugriff der Behörden auf sämtliche Daten der Menschen bereits auf vielen Ebenen, so z. B. durch die präventive Speicherung von Genmaterial bereits verurteilter StraftäterInnen, ehemals Beschuldigter oder Verdächtiger. Die Handhabung variiert dabei von Bundesland zu Bundesland.
Zusätzlich zu den zahlreichen Dateien, die es schon gibt, wird von allen Parteien eine immer weitreichendere Datenerfassung gefordert. Vorhaben wie die Erfassung biometrischer Daten in Ausweispapieren werden von vielen Seiten gewünscht und begrüßt. In Arbeitsgruppen der Innenministerkonferenz geht es lediglich darum, festzustellen, ob und wie die massenhafte Datenerfassung durchführbar ist.
All dies findet aber nicht nur auf der Ebene der Politik oder Repressionsorgane statt, sondern wird sehr wohl gesellschaftlich getragen. Seit Jahren erzeugen u. a. Medien, Politik und Wirtschaft ein Klima von Unsicherheit. Bei vielen Menschen hat dies eine unbestimmte Angst vor allen möglichen angeblichen Gefahren hervorgerufen. Der immer weitere Zugriff auf persönliche Daten wird somit zumeist nicht als Übergriff wahrgenommen, sondern als Errungenschaft auf dem Weg zu mehr - individueller wie globaler - Sicherheit gepriesen.
So wurde der Weg bereitet, hart erkämpfte "Bürgerrechte" auf Datenschutz und unantastbare Privatsphäre Stück für Stück wieder abzuschaffen. Z. B. haben sich mittlerweile mindestens 10.000 Menschen anlässlich eines Versuchlaufs am Frankfurter Flughafen freiwillig die Iris scannen lassen. (Ergo - wer nichts zu verbergen hat, kann sich auch durchsichflg machen lassen.) Freie Sicht bis in die intimste Ecke des Menschen!
Diese Sicherheit ist nicht unsere Sicherheit - schafft Unsicherheit!
Eine allgemeine Entwicklung der polizeilichen Kontrollpolitik trifft in Bielefeld tatsächlich auch auf eine politische Praxis, die gerne auf Anmeldungen von Demonstrationen und Aktionen verzichtet. Hat eine solche staatliche Reglementierung der Versammlungsfreiheit gegen Linke doch meistens nur den Sinn, die Möglichkeit der Meinungsäußerung zu beschneiden (z. B. Verbot von Seitentransparenten) und Widerstand unsichtbar (Verbannung von Demos in Seitenstraßen, auf den Gehweg ... ) zu machen.
Diese Kultur der "Selbstbestimmung von Aktionsformen" wurde auch während einer erfolgreichen Kampagne in Bielefeld gegen eine schon länger bestehende Nazikneipe im Rahmen eines Bündnisses gepflegt. Nach langen und kontinuierlichen Aktionen musste die Kneipe "Postmeister", die Treffpunkt der Nazis aus der Region war, dichtmachen. Der Widerstand gegen den "Postmeister" zeichnete sich durch vielfältige Aktionen aus. Aktivitäten wie ein klassisches Konzert, Pink & Silver-Aktionen und schlichten Besuchen der Kneipe wurden nicht nur von einer klassischen Antifa-Szene besucht, sondern auch von einem sehr breiten und gemischten Spektrum und dadurch für die Bullen uneinschätzbarer.
Auch diese Aktionen wurden - offensichtlich aus der Überzeugung heraus, dass die Bullen nicht die sind, die antifaschistischen Widerstand zu legitimieren oder zu verbieten haben - nicht angemeldet. Und diese Aktionen fanden dann auch noch positive Resonanz in der Öffentlichkeit und Presse. Für die Bullen als Kontrollorgan des Staates ist eine solche Situation nicht hinnehmbar. Auch das mag ein Grund sein für den Vorstoß der Bullen, im großen Stil Daten in der "Szene" sammeln zu können.
Die Vorgehensweise der Bullen stellt für uns allerdings auch eine Veränderung der Art von Repression dar:
Während der Aktionen haben sich die Bullen - ganz im Sinne des staatlichen Antifaschismus der vergangenen Jahre - ruhig verhalten, nicht eingegriffen und bekräftigt, dass sie die Aktionen ja unterstützen und ermöglichen wollten. Natürlich nur zu ihren Bedingungen. Bei den meisten Aktionen war öffentlich nicht einmal bekannt, dass deshalb ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde. Nach außen hin soll hier eine fortschrittliche NRW-Polizei, die sich auch gegen Nazis "engagiert", dargestellt werden, hintenrum wird versucht, antifaschistischen Widerstand zu kriminalisieren und diskreditieren, wo es nur geht.
Solidarität schafft Sicherheit
Die Antirepressionsarbeit gegen die 28 Antifaschistinnen aus OWL (Vorladungen zu den ED-Behandlungen) findet momentan noch auf der juristischen Ebene statt. Abgesehen davon, dass wir uns davon - zumindest auf Dauer - nicht sehr viel Erfolg versprechen, kann und wird diese Ebene nicht die einzige sein.
Bange machen gilt nicht - zieht Handschuhe an ...
Lasst euch nicht einschüchtern! Wenn welche sich durch derartige Aktivitäten des Staates in ihrem Handeln verunsichern lassen, wird genau das erreicht, was erreicht werden soll. Widerstand ist sinnvoll und notwendig!
Bestimmt eure Aktionsformen selbst!
Die kriminalisierte Politik fortführen!
Collegium Humanum angreifen!
(1) Wir denken nicht, dass nur die 'politische Szene' von einem solchen Vorgehen der Bullen betroffen ist. Wir wissen, dass die Bullen auch vermeintliche Ladendiebe zur ED-Behandlung laden ...
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