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Mindener Tageblatt , 13.11.2004 :

Erinnerung an einen toten Soldaten / Trudi Evert besucht seit 44 Jahren das Grab ihres Bruders in der französischen Normandie

Von Katja Ebbecke

Minden (mt). "Ich freue mich sehr, daß Ihr, meine Lieben, so oft an mich denkt. Meine Gedanken sind auch immer bei Euch. Und wenn erstmal wieder Frieden ist und wir alle gesund beisammen sind, dann wollen wir es uns recht gemütlich machen."

Dazu ist es nie gekommen. Der Verfasser dieses Briefes, Otto Bügener, verlor im Alter von 18 Jahren sein Leben im Kampf in der französischen Normandie. Noch heute zeugen unzählige Grabsteine auf den Soldatenfriedhöfen in Frankreich von den Opfern des Zweiten Weltkriegs.

Trudi Evert aus Minden, die Schwester des toten Soldaten, lassen bis heute die Erinnerungen an ihren Bruder nicht los. Einmal im Jahr tritt sie die Reise in die Vergangenheit an und besucht mit dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge den Friedhof St. Manvieu-Cheux, auf dem Otto Bügener begraben liegt. Seit 44 Jahren diesselbe Reise, diesselben Erinnerungen, diesselben Gefühle.

"Wenn ich dort am Grab stehe, fühle ich mich ihm nah. Er war doch mein einziger Bruder, und noch so jung ... ", sie stockt und beginnt, in einer Mappe mit alten Briefen und Unterlagen zu blättern. Da ist sie. Die blaue Karte, mittlerweile arg abgegriffen, die vor 58 Jahren die schreckliche Botschaft überbrachte. Soldat Otto Bügener sei am 27. Juni 1944 in Cheux gefallen, steht auf der amtlichen Mitteilung. Grablage: unbekannt.

"Das war eine schlimme Zeit", erinnert sich Trudi Evert. "Diese Ungewissheit und gleichzeitig die Hoffnung, dass er vielleicht doch nur vermisst ist, haben uns verrückt gemacht." Unzählige Briefe haben sie und ihre Eltern damals geschrieben. An ehemalige Kameraden, Komandanten und wer sonst noch etwas wissen könnte. Vergeblich. Erst als die Soldaten von Bügeners Kompanie aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft zurückkehrten, erfuhr die Familie, was an diesem verhängnisvollen Tag passiert war.

Otto Bügener hatte mit seinen Kameraden unter einem Panzer gelegen, ganz rechts außen. Genau dort, wo die Granate einschlug. Seine Kameraden ergaben sich den Kanadiern, den toten Otto mussten sie zurücklassen.

Erst Jahre später, 1956, bekamen Trudi Evert und ihre Eltern Nachricht, wo der Leichnam des Jungen begraben liegt. Der Gräberdienst des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge hatte im Rahmen einer besonderen Aktion die Gräber der bis dahin unbekannten deutschen Soldaten geöffnet. Otto Bügener konnte dank seiner bei ihm gefundenen Erkennungsmarke identifiziert werden.

Von der Erinnerung kann sie nicht lassen

An die erste Reise zur Grabstätte ihres Bruders in Frankreich kann sich Trudi Evert noch genau erinnern. Ihre Mutter habe einen Beutel heimischer Erde aus dem Kofferraum des Autos geholt und diese auf dem Grab verteilt. Damit er etwas von der Heimat hat, habe sie damals unter Tränen erklärt.

Die Eltern seien danach nie mehr zum Friedhof gefahren. Nur Trudi konnte nicht von der Erinnerung lassen. "So lange ich lebe, muss ich einmal im Jahr dort gewesen sein", sagt sie mit Überzeugung.

Mittlerweile ist sie auch beim französischen Friedhofsgärtner bekannt. "Er spricht kein Deutsch, ich kein Wort Französisch. Aber wenn ich komme, läuft er mir immer schon mit Gießkanne und Schaufel entgegen und begleitet mich zum Grab meines Bruders", sagt sie mit einem Lächeln.

Otto Bügener ist einer von 500 deutschen Soldaten, die neben rund 2.000 englischen, kanadischen und schottischen Soldaten auf diesem britischen Friedhof elf Kilometer westlich von Caen bestattet wurden. Jede Ruhestätte ziert der gleiche weiße Grabstein, alle Gräber sind immer frisch bepflanzt. "Hier werde keine Unterschiede gemacht", beschreibt Trudi Evert ihr Gefühl, wenn sie den Friedhof betritt.

Auch ihre Tränen und Trauer gehören nicht nur dem Bruder. Zu viele junge Menschen mussten ihrer Überzeugung nach im Krieg ihr Leben lassen. Ihr innigster Wunsch: "Hoffentlich passiert das nie wieder."

Die Wege der Freiheit

Die Normandie,
Eine Wiese im Herzen der Welt.
Etwas Regen,
Aber eine so tiefe Ruhe,
Die uns überflutet.
Regnet es so oft bei uns
Um das Blut, das Soldaten
Vor langem vergossen haben,
Auszuwischen?

Die Wege der Freiheit
Sind von der Normandie
Von neuem ausgegangen,
Es war an einem Junitag,
Vor dem Sommer,
Eisen, Feuer und Regenflut.
Aber heute, zur Zeit des Friedens mögen
Die nun wieder ausgesöhnten Länder
An die vielen Opfer zurückdenken,
Damit Europa endlich existiert.

Ich sehe weiße Schatten,
Die vom französischen Himmel
Herunterfallen.
Und tausende von Schiffen
In aller Stille, mitten in den Fluten
Ich höre Lieder,
Wie aus dem Nebel hervorgetreten,
Und über den Meerschaum gerollt,
Einige Noten der Freiheit.
Die Hoffnung kam zurück.
Sieh tausend Kreuze ...
Lausche und nimm
Die Erinnerung wahr,
Vernimm die Stille,
Sieh, eine Taube erhebt sich
Zum Himmel
Bewundere,
Bewundere ihren Flug.

Die Normandie,
Eine Wiese im Herzen der Welt.
Etwas Regen,
Aber eine so tiefe Ruhe,
Die uns überflutet.
Es regnet so oft bei uns,
Um das Blut, das Soldaten
Vor langem vergossen haben,
Auszuwischen!

Der Autor ist Sohn des Friedhofsverwalters für alle deutschen Soldatenfriedhöfe in der Normandie.

13./14.11.2004
mt@mt-online.de

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