Mindener Tageblatt ,
11.11.2004 :
Lebendige Erinnerung bei Gedenkfeier / Zerstörung der Mindener Synagoge bei Reichsprogomnacht 1938 / Bessel-Schüler präsentieren Gedanken zu Ausschwitz
Von Katja Ebbecke
Minden (mt). "Nach Artikel 1 des Grundgesetzes ist die Würde der Menschen unantastbar – die Würde aller Menschen. Damit müssen wir Ernst machen, sonst sind Gedenktage wie heute nichts als lästige Pflichten" – ernste Worte am Jahrestag der Reichsprogromnacht in der Mindener Synagoge.
Eindringlich erinnerte Harald Scheurenberg, Vorsitzender der jüdischen Kultusgemeinde Minden, an die Nacht des 9. Novembers vor 66 Jahren, in der jüdische Geschäfte geplündert und nach seinen Angaben mindestens 91 Menschen ermordet wurden. Sein Plädoyer an diesem Abend galt der lebendigen Erinnerung. "Nur wenn die Mehrheit der Deutschen, die gegen Fremdenfeindlichkeit ist, nicht länger schweigt, ist Deutschland auch noch in einigen Jahren ein offener und liberaler Staat", betonte er.
Lebendige Erinnerung, welche die Schüler des Besselgymnasiums mit in die Mindener Synagoge brachten. Vor überfüllten Reihen, in denen Bürgermeister Michael Buhre – angemessen mit weißer Kipa auf dem Kopf – nur mit Mühe einen Platz fand, präsentierten die Schüler des Leistungskurses Geschichte ihre Gedanken zu einem Besuch des Konzentrationslagers in Ausschwitz.
"Mit jedem Schritt – Ungewissheit und Angst / Mit jedem Schritt – Die Frage: Hält die Mauer, die ich um mich herum aufgebaut habe? / Mit jedem Schritt – Fassungslosigkeit / Mit jedem Schritt – begreife ich, dass das, was ich sehe, plötzlich nicht mehr nur Geschichte, sondern Realität ist", stellten Stephanie Weber und Vanessa Hermeling abwechselnd ihre Eindrücke von dem Ausflug in die Vergangenheit vor.
In der Synagoge ist es still. Jeder Besucher lauscht den ernsten Worten, hängt seinen eigenen Gedanken nach, erinnert sich vielleicht an ähnliche eigene Erfahrungen. Blicke fallen auf die Fotos, die die Schüler am Eingang verteilt haben: Lange Bahngleise, die in der Bildmitte in einem Tor münden, eine graue Rampe, an der die Deportationszüge in Ausschwitz endeten und die Pritschen der Gefangenen, dicht an dicht. Die Vorstellung von dem, was dort passiert ist, lässt Beklemmung entstehen.
"Man kann und sollte Schüler dahin führen, dass sie sich an Vergangenes erinnern", erklärt Kursleiter Helmut Kussmann. Zum vierten Mal in Folge hat er mit einem Schulkurs eine Gedenkfeier in der Mindener Synagoge organisiert.
"Es dauerte lange, bis wir in der Lage waren, uns über das Gesehene und Gehörte, über unsere Gefühle zu unterhalten und auszutauschen", erinnert er sich. Umso mutiger, dass die Schüler diese Gedanken nun in der Mindener Synagoge vorstellten. Beim abschließenden Kaddisch, gesungen von Jakob Zelewitzsch, wirkte das Gehörte noch nach.
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