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Zeitung für den Altkreis Lübbecke / Neue Westfälische , 11.11.2004 :

Brandstiftung in den Köpfen / "Weg der Erinnerung"stand unter dem Thema "Feuer" / Erinnerung an brennende Lübbecker Synagoge

Lübbecke (kor). Die Frage bleibt Herausforderung – auch 66 Jahre nach der Reichspogromnacht, welche die Nazis zynisch-verharmlosend Reichskristallnacht nannten: Wie konnte das geschehen? Im Gedenken an brennende Synagogen, plündernde und mordende SA-Trupps und deportierte jüdische Deutsche näherten sich die Mitwirkenden auf dem "Weg der Erinnerung" dieser Frage auch symbolisch. Ihr Thema "Feuer" behandelte nur vordergründig die vernichtenden Flammen. Im Kern ging es um die Brandstiftung in den Köpfen und ihre vernichtende, sich wie Flächenbrand ausbreitende Zerstörungswut.

Mitwirkende war neben DGB, kath. und ev. Kirche, Haupt- und Pestalozzischule, Gymnasium, Ortsheimatpfleger, dem Chor "S(w)ing & Praise" erstmals auch die Freiwillig Feuerwehr Lübbecke. Die Jugendfeuerwehr stellte 20 brennende Kerzen auf den Gedenkstein am Platz der Synagoge zur Erinnerung an die 20 jüdischen Lübbecker, die ermordet wurden. Stadtbrandmeister Christoph Stallmann und Ortsheimatpfleger Günter Niedringhaus erinnerten am Mahnmal an die brennende Lübbecker Synagoge in der Nacht zum 10. November 1938 und an die Lübbecker Feuerwehr, die nicht löschte, weil sie nicht löschen durfte. Lediglich die Nachbarhäuser sollten die alarmierten Feuerwehrmänner schützen, um das Übergreifen der Flammen zu verhindern.

Der "Weg der Erinnerung" lief in diesem Jahr über drei Stationen, und rund 140 Menschen gingen mit. Er begann in der St. Andreas-Kirche, wo der Oberbauerschafter Pfarrer Frank Buhlmann an den 9. November vor 66 Jahren erinnerte, die Reichspogromnacht, in der die geplante Vernichtung der europäischen Juden unübersehbar wurde, als 267 Synagogen (unter ihnen die Lübbecker) in Flammen aufgingen, tausende jüdische Geschäfte geplündert, 91 jüdische Deutsche ermordet und 26.000 verhaftet und deportiert wurden. Buhlmann: "Wir wollen wach halten, was geschah. Dieser Tag ist Mahnung und Auftrag, sich in der Gegenwart couragiert und verantwortungsvoll einzusetzen."

Drei Schülerinnen des Wittekind-Gymnasiums erinnerten in einem szenischen Spiel an den Aufruf, jüdische Geschäfte auch in Lübbecke zu boykottieren, an flammende Reden und Bücherverbrennung.

Der Gospelchor "S(w)ing & Praise" unter der Leitung von Kantor Heinz-Hermann Grube trug Lieder vor, darunter "Wieder und Wieder" von Dieter Trautwein, in dem es heißt: "Im Feuer, das klein begann, fing höllisches Morden an, das Schrecken wie nie erregt".

Am Platz der Synagoge, der zweiten Station, lasen Hauptschüler zeitgenössische Texte aus heimischen Lokalzeitungen vor, welche die rassistische Propaganda, geistige Brandstiftung, verbreiteten und anheizten. Pfarrer Eberhard Hellling hielt dagegen, dass "wir Heutigen kein Recht haben, anzuklagen, aber die Pflicht, die Fratze des Bösen anzuschauen."

Fratzen des Bösen tauchten auch bei der letzten Station des Weges im Gemeindesaal der kath. Kirche auf. Pestalozzi-Schüler setzten bei Schwarzlicht-Theater-Spiel und Musik eindrucksvoll die unheimlichen Kräfte der Flammen in Bewegung und Farben um.


lok-red.luebbecke@neue-westfaelische.de

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