Arbeitsgemeinschaft Fossoli ,
17.07.2002 :
Offener Brief an den Rat der Stadt Horn-Bad Meinberg /
... Missachtung und Verhöhnung – auch und gerade – dieser Menschen!
Rat der Stadt Horn-Bad Meinberg
Marktplatz 4
32805 Horn-Bad Meinberg
"Bei Ihnen gab es die Opfer, der Täter lebte hier bei uns."
Sehr geehrte Damen und Herren,
wir haben in Ihrer Stadt öffentlich darauf hingewiesen, dass der ehemalige Kommandant der Polizei- und Durchgangslager Fossoli und Bozen in Italien, Karl Friedrich Titho, seit 1953 nahezu unbehelligt in der Pfuhlstraße lebte.
Wir erinnerten daran, dass aus diesen beiden Lagern wenigstens 3.198 Jüdinnen und Juden sowie mindestens 2.470 politische Gefangene in die deutschen Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz, Bergen-Belsen, Buchenwald, Mauthausen und Ravensbrück deportiert wurden.
Am 21. Juni 2000 machten wir auf einer Kundgebung erstmals den Vorschlag, diesen Menschen Namen und Gesichter zu geben: Eine Straßenumbenennung sollte die Erinnerung an sie lebendig halten, eine Geste als Ausdruck des Respektes gegenüber den Opfern und ihren Angehörigen. (1)
Damals waren mehr Mitglieder der Polizei und des Staatsschutzes vor dem Wohnhaus Tithos – als Kundgebungsteilnehmerinnen und -teilnehmer auf dem Marktplatz – versammelt.
Soweit es in der Folgezeit Auseinandersetzungen gab, waren sie vor allem von Schuldabwehr und massiven Anfeindungen geprägt.
Doch das Selbstbild des Täters Karl Friedrich Titho als "nicht verantwortlicher Befehlsempfänger" war u.a. durch eine intensive Medienberichterstattung und unsere Veranstaltung am 4. Mai 2001 in der Burgscheune ("Fossoli * Bozen * Bergen-Belsen * Auschwitz – Ein Täter lebt in Horn") nicht länger haltbar. Die Chance, in Horn-Bad Meinberg sich nun öffentlich der eigenen Vergangenheit zu stellen und Zeichen zu setzen für die Opfer des Nationalsozialismus, sie wurde vertan.
Mit einer Ausnahme: Am 9. November 2001 empfing Herr Block in der Burg u.a. Zeitzeuginnen und -zeugen aus Fossoli und Bozen sowie den Bürgermeister von Carpi, Demos Malavasi. Herr Block betonte hierbei: "Bei Ihnen gab es die Opfer, der Täter lebte hier bei uns."
Vor den italienischen Gästen mahnte Ihr Bürgermeister zu Recht: "Heute gilt es in der Stadt Horn-Bad Meinberg, sich der Verantwortung aus der Geschichte zu stellen."
Auf dem Symposium "Von Italien nach Auschwitz – Fossoli und Bozen: Stationen der Deportation 1944/45" am 10. und 11. November 2001 in Detmold, wurde unser Antrag auf eine Straßenbenennung unterstützt. Der Berliner Historiker Dr. Klaus Voigt schloss jedoch nicht aus, dass Gina Labi, die am 20. Mai 1944 aus Fossoli deportiert wurde, in Bergen-Belsen überlebt haben könnte.
Nach einer Recherche in Italien, die diese Vermutung bestätigte, informierten wir Sie darüber schriftlich am 7. Januar 2002 und schlugen Ihnen nunmehr den Namen Richard Silberstein vor. Die Herausgeberin des Gedenkbuches für die aus Italien deportierten Jüdinnen und Juden ("Il libro della memoria. Gli ebrei deportati dall'Italia. 1943 – 1945"), Liliana Picciotto, teilte hierzu mit:
Richard Silberstein wurde am 29. März 1944 im Krankenhaus von Carpi geboren, am selben Tag in Fossoli gefangen genommen, aus dem Polizei- und Durchgangslager am 16. Mai deportiert und unmittelbar nach der Ankunft in Auschwitz am 23. Mai ermordet. Die entsprechenden Dokumente fügten wir unserem Brief – auch in deutscher Übersetzung – bei.
Am 9. März 2002 schrieb Ihnen Dr. Voigt:
" ... von meinen Kollegen in Detmold erfuhr ich, dass die Stadt Horn-Bad Meinberg plant, eine Straße nach einem aus Fossoli bei Carpi deportierten Kind zu benennen. ( ... ) Die Initiative der Stadt Horn hat die Mitarbeiter des Jüdischen Dokumentationszentrums in Mailand sehr beeindruckt. Sie wird in Italien, vor allem in den Jüdischen Gemeinden, als Zeichen der Besinnung einer Stadt auf ihre Vergangenheit sehr positiv aufgenommen werden. Ich würde mir daher von Herzen wünschen, dass die Initiative, für die ich in Deutschland kein zweites Beispiel nennen kann, erfolgreich ist."
Leider haben wir inzwischen den Eindruck gewonnen, dass nach dem Tode des Karl Friedrich Titho viele von Ihnen darum bemüht sind, eine Diskussion um diesen Teil der eigenen Vergangenheit zu verhindern.
Die letzte öffentliche Äußerung der Stadt Horn-Bad Meinberg stammt vom 9. November 2001, als Herr Block in seiner oben zitierten Ansprache, unseren Antrag gegenüber den Gästen aus Italien erwähnte.
Wir fragen: Ist es mangelnde Sensibilität oder Geschichtsverantwortungslosigkeit, dass die Bitte, eine Straße nach dem kleinsten Kind, das aus Fossoli deportiert und in Auschwitz ermordet wurde, zu benennen, Ihnen seit über acht Monaten vorliegt, aber nicht beraten wird?
Ihre offensichtliche Weigerung, den Deportationsopfern aus Fossoli und Bozen ein Stück ihrer Würde zurückzugeben, ist das eine. Ihr Mehrheitsbeschluss vom 16. Mai 2002 aber, das NS-Wappen "Gemeinnutz geht vor Eigennutz" wieder am Rathaus anzubringen, bedeutet eine Missachtung und Verhöhnung – auch und gerade – dieser Menschen!
(1) Konkret schlugen wir vor, die Pfuhlstraße in "Gina Labi-Straße" umzubenennen. Dies und das Folgende können Sie detailliert auf unserer Hompage "www.agfossoli.de" im Link "Veröffentlichungen" nachlesen.
Für die Arbeitsgemeinschaft Fossoli: Dieter Zoremba / Diether Kuhlmann
agfossoli@freenet.de
|