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Mindener Tageblatt , 09.11.2004 :

"Historische Wahrheit" fürs Museum / Arbeitskreis Antisemitismus übergibt Werkzeitungen aus der NS-Zeit / Hetze gegen Juden

Von Stefan Koch

Minden (mt). Jahrzehnte vom Staub bedeckt – nun im Mindener Museum. Mitglieder des Arbeitskreises Antisemitismus übergaben gestern eine Sammlung von Melitta-Werkszeitungen aus der NS-Zeit. Dass es die Blätter in sich haben, wurden gestern bereits deutlich. Zwei Artikel hetzen gegen Juden.

Doch nicht nur deshalb würdigte gestern Martin Beutelspacher, Leiter des Mindener Museums, die Schenkung als "außergewöhnliche Rarität". Druckerzeugnisse wie Werkzeitungen seien sehr selten. Die nun in Museumsbesitz befindliche Sammlung werde kopiert und öffentlich verfügbar sein.

Das war nicht immer so: Als der Mindener Publizist Kristan Kossack das brisante Material aus der Arbeits- und Lebenswelt im Dritten Reich beschaffen wollte, musste er mehrere Entäuschungen hinnehmen. Auf eine Anfrage bei Günter Wallraff teilte ihm der Enthüllungs-Journalist mit, dass sein eigens, auch mit Melitta-Werkzeitungen aus der NS-Zeit bestücktes Archiv von Unbekannten angezündet worden sei. 1994 hatten Diebe zudem Exemplare aus dem Betriebsratsbüro der Firma Melitta gestohlen. Und im Kommunalarchiv gab es nur Werkzeitungen der Nachkriegszeit.

So fand Kossack schließlich bei einem ehemaligen Melitta-Mitarbeiter noch einen Teilbestand der einst 850 Auflagen zählenden Blätter. Es handelt sich um die Jahrgänge Dezember 1936 bis Mai 1938 in Teilbeständen sowie einem Leitartikel (in Kopie) vom Dezember 1938.

Kossack, nachdem er seinen Fund ausgewertet hatte: 4,8 Prozent der Artikel seien Leserzuschriften und redaktionelle Mitteilungen, weitere 4,8 Prozent hätten das Thema "Soziales und Fortbildung" aufgegriffen. Mit 7,2 Prozent seien Personalien abgehandelt worden, wobei vorwiegend die Familie Benz im Mittelpunkt der Berichterstattung gestanden habe. 7,8 Prozent seien auf die allgemeine Politik und 21,4 Prozent auf die Produktion enfallen. Der Löwenanteil mit 54 Prozent sei der Freizeit gewidmet.

Eine Randerscheinung stellen da die antisemitischen Ausfälle dar. So wird in der Ausgabe vom Mai 1938 geklagt, dass immer noch Mindener in jüdischen Geschäften kauften. "Wir würden sie fristlos entlassen", konnten damals die Melitta-Mitarbeiter lesen. Eine abgedruckte Liste mit 30 jüdischen Unternehmen in der Weserstadt sollte jeden warnen.

"Die armen Juden" heißt ein anderer Artikel, der sich mit dem Reichspogrom vor 66 Jahren auseinandersetzt. Neben der Diffamierung des in Minden bekannten Arztes Robert Nußbaum werden die Leser zu einer härteren Haltung gegenüber ihren jüdischen Mitbürgern aufgefordert: "Hätte jeder Deutsche seiner Pflicht genügt, nicht beim Juden zu kaufen, hätte es am 9. November nicht mehr so viele jüdische Schaufenster gegeben."

Da solche Texte auch für den Arbeitskreis Antisemitismus von Interesse sind, entschloss sich die Gruppe zur Übergabe ans Museum. Karl-Heinz Sekatsch-Winkelmann: "Unser Ziel ist es nicht, einen für Minden wichtigen Betrieb zu denunzieren, sondern die historische Wahrheit zu finden."

Ein Vorhaben, dass auch Melitta selbst gut heißt. Öffentlichkeitsreferentin Dr. Annette Kahre: "Wir begrüßen, dass die Blätter einer öffentlichen Einrichtung zur Verfügung gestellt werden." Das Unternehmen werde aus Anlass seines Jubiläums im kommenden Jahr einen Historiker befristet die eigene Firmengeschichte untersuchen lassen.


mt@mt-online.de

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