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Mindener Tageblatt , 09.11.2004 :

Warnung vor nazistischem Denken / Deutliche Worte bei Gedenkfeier zur Reichpogromnacht / Verantwortung für Geschichte

Von Ulrich Westermann

Petershagen (Wes). In einem würdevollen Rahmen fand in der früheren Petershäger Synagoge die kreisweite Gedenkfeier zur Reichspogromnacht am 9. November 1938 statt.

In dem Informations- und Dokumentationszentrum für die jüdische Orts- und Regionalgeschichte hatten sich rund 50 Personen eingefunden, um ein Zeichen gegen Antisemitismus, Hass, Gewalt und Fremdenfeindlichkeit zu setzen. Zu den Teilnehmern gehörten auch der Vorsitzende der jüdischen Kultusgemeinde Minden, Harald Scheurenberg, und dessen Vater Kurt Scheurenberg.

Ein Gedenkgebet trug der Kantor der Region Minden, Bielefeld, Herford und Paderborn, Jakow Zelewitsch, vor. Der Vorsitzende der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, Dr. Heinrich Winter, wies darauf hin, dass DVU und NPD ihre Kräfte auf die nächste Bundestagswahl konzentrierten, nachdem ihnen die Landtagswahlen den Weg in die Parlamente geebnet hätten.

"Uns muss die Tatsache beschäftigen, dass der Protest gegen die Politik der etablierten Parteien unserer Demokratie sich mit absolut inakzeptablen Meinungen verbindet, deren Folgen unser Land vor 60 Jahren in schrecklichster Weise erfahren hat und noch erfährt", unterstrich Dr. Winter. Auch in Petershagen beherberge die Synagoge seit dem 9. November 1938 keine lebendige jüdische Gemeinde mehr.

"Ein Gespräch von Juden und Christen hier vor Ort findet nicht statt, weil das die Inhumanität, die primitive abstoßende brutale rassistisch-nationalistische Politik vor 70 Jahren bewirkt hat." CDU, SPD, Die Grünen, FDP und freien Wählergemeinschaften im Kreis Minden-Lübbecke rief Dr. Winter dazu auf, klare Position gegen nazistisches Gedankengut einzunehmen.

Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Alte Synagoge Petershagen, Pfarrer Eckhard Hagemeier, erinnerte an seinen Besuch im Ghettomuseum in Theresienstadt in der heutigen Tschechischen Republik. In besonderer Weise sei ihm ein Gedicht von Frantisek Bass aufgefallen. Der 14-jährige Verfasser, der im Oktober 1944 in Auschwitz umgekommen sei, drücke die Tragik seines eigenen Schicksals und seiner Altersgenossen im Ghetto aus.

"Unter den 64 genannten Opfern auf der Tafel in früheren Synagoge in Petershagen sind neun Kinder, die zum Zeitpunkt ihres Todes das 15. Lebensjahr nicht überschritten hatten", sagte Pfarrer Hagemeier. Sie seien wie viele andere ihrer menschlichen Würde beraubt, gequält und grausam ermordet worden. Die alte Synagoge möge dazu beitragen, Fragen, Trauer und Erinnerung an die Kinder und ihre Angehörigen wachzuhalten.

Bürgermeisterin Marianne Schmitz-Neuland erinnerte an die Pogromnacht. Spätestens da habe jeder in Deutschland sehen können, dass Antisemitismus und Rassismus bis hin zum Mord staatsoffiziell geworden seien.

"Mit dem Gedenken an diese Ereignisse setzen wir ein Zeichen, dass wir uns der Verantwortung für unsere Geschichte bewusst sind, dass wir die Last der Erinnerung akzeptieren", bekräftigte Schmitz-Neuland. "Wir müssen uns gegen Fremdenhass und gegen Ausländerfeindlichkeit im eigenen Umfeld wehren und gerade wegen unserer Geschichte besonders wachsam sein."


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