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Schaumburger Zeitung , 09.11.2004 :

Zeitzeuge: SS-Leute haben in Synagoge Feuer gelegt

Von Wilhelm Gerntrup

Bückeburg. In vielen deutschen Städten wird heute (9. November) der so genannten "Reichskristallnacht" gedacht. Die am 9. und 10. November 1938 durchgeführten Terroraktionen markieren den Beginn ungehemmter Gewaltbereitschaft des NS-Regimes bei der "Endlösung der Judenfrage". Auch in Bückeburg waren fanatische SS- und SA-Aktivisten am Werk. Vieles von dem, was damals geschah, ist unaufgeklärt. Die im Staatsarchiv lagernden Akten weisen Lücken auf. So fehlt unter anderem der Bericht, den laut Gestapo-Vorgabe der damalige Bürgermeister Albert Friehe in seiner Eigenschaft als Chef der Ortspolizei anzufertigen hatte.

Auch die Berichte in den Zeitungen werfen mehr Fragen als Antworten auf. Nach einem Artikel in damals der in Bückeburg erscheinenden "Schaumburg" vom 11. November 1938 hatte es am Tag zuvor in der Stadt "antijüdischen Kundgebungen" gegeben. Dabei sei es zu "teils handfesten Äußerungen" gekommen. "An einigen Häusern gingen Fensterscheiben zu Bruch".

In einem weiteren Beitrag ist von einem "Schadenfeuer in der Synagoge" die Rede, das nachts gegen 01.45 Uhr im Betsaal des Gebäudes ausgebrochen sei. Bereits "wenige Minuten später waren die zuständigen verantwortlichen Führer der Polizei und der Feuerwehr zur Stelle". Nennenswerten Schaden habe es nicht gegeben. Die Ursache des Feuers sei unbekannt, die Ermittlungen noch im Gange.

Nach den Aussagen eines alteingesessenen Bückeburgers, der sich heute, 66 Jahre danach, erstmals zu den damaligen Ereignissen äußern möchte, war die Darstellung der Zeitung zu der (unbekannten) Brandursache eine Falschinformation. Polizei, Feuerwehr, Bürgermeister und alle anderen Beteiligten hätten von Anfang an gewusst, dass das Feuer von zwei Bückeburger SS-Männern gelegt worden sei. Die Namen der beiden will der Zeitzeuge aus Rücksicht auf deren noch lebende Familienangehörige nicht nennen. Auch er selber möchte ungenannt bleiben. Den Anstoß zur Brandlegung hätten überörtliche Dienststellen gegeben.

So seien Bürgermeister Friehe und die örtliche NSDAP-Führung eindringlich ermahnt und aufgefordert worden, "mehr Druck" auf die damals 70-köpfige jüdische Gemeinde zu machen. Nach einigem Hin und Her hätten sich schließlich H. W. und K. R. zur Durchführung der Synagogen-Aktion bereit erklärt. Um unkalkulierbare Folgen auszuschließen und größere Aufregung in der Stadt zu vermeiden, sei der Brandablauf vorher mit Polizei und Feuerwehr abgesprochen worden.

Offensichtlich stand damals ein erheblicher Teil der Einwohner den Aktionen gegen die jüdischen Mitbürgern reserviert oder ablehnend gegenüber. Die "seitens der Reichsregierung getroffenen Maßnahmen" würden zwar von der Bevölkerung insgesamt "verstanden und begrüßt", heißt es in einem vertraulichen, am 17. November abgefassten Bericht des heimischen Landrats Hermann Gebbers – andererseits sei "nicht von der Hand zu weisen, dass hierdurch das Ansehen der Partei und ihrer Gliederungen und somit das Ansehen des Staates schwersten Schaden erlitten haben".

Die NS-Propaganda be-eilte sich denn auch, die Übergriffe als "Antwort des deutschen Volkes auf die ständigen, unerhörten Provokationen des Weltjudentums" darzustellen. Als aktueller Vorwand diente ein am 7. November von einem 17-jährigen polnischen Juden namens Herschel Grynszpan an dem deutschen Diplomaten Ernst von Rath in Paris verübtes "verschwörerisches Attentat". "Es werden in kürzester Frist spontane Aktionen gegen Juden, insbesondere gegen die Synagogen, stattfinden", kündigte die Berliner Gestapo-Zentrale an. Plünderungen, Misshandlungen und sonstige Ausschreitungen dürfe es nicht geben, allerdings sei "die Festnahme von männlichen Juden von nicht zu hohem Alter und die vermögend sind, durchzuführen, und zwar so viele, wie untergebracht werden können".

In Bückeburg bekam diese Vorgabe vor allem der Zahnarzt Benario, Fürst-Ernst-Straße 12, zu spüren. Der 48-Jährige wurde für gut zwei Wochen ins KZ Buchenwald verschleppt. Vor seiner Entlassung musste er sich verpflichten, Deutschland "binnen kürzester Frist" zu verlassen. Dr. Paul Benario, seine Ehefrau Friederike und ihr 8-jähriger Sohn Theodor verließen ihre Heimatstadt und wanderten wenige Wochen später nach Santiago de Chile aus.

Bürgermeisterin Edeltraut Müller und Stadtdirektor Reiner Brombach legen am heutigen Dienstag um 11 Uhr einen Kranz am Gedenkstein hinter dem Stadthaus nieder.


sz@schaumburger-zeitung.de

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