Die Glocke ,
08.11.2004 :
Isaak Kleimann, Überlebender des Holocausts / "Wenn Hass in den Köpfen ist, kann alles passieren"
Gütersloh (heva). Nein, seinen Optimismus hat Isaak Kleimann nicht verloren. "Ich vertraue auf Gott", sagt der 80-Jährige voller Zuversicht. Die Vergangenheit des Letten lässt die Zuhörer in der Gütersloher Volkshochschule am Freitagabend schaudern: Isaak Kleimanns Mutter und seine drei Schwestern wurden im Holocaust von den Nationalsozialisten ermordet.
In perfektem Deutsch und mit fester Stimme berichtet der Lette von den grausamen Monaten Anfang der 40er Jahre, die sich tief in sein Gedächtnis gegraben haben. Damals, 1941, saß Isaak Kleimann schon im Bus nach Leningrad, als seiner Mutter buchstäblich in letzter Sekunde doch noch Zweifel an der bevorstehenden Flucht kamen. Die Entscheidung für die Heimatstadt Riga sollte eine Entscheidung für den Tod werden. Noch im Herbst 1941 verhafteten Nazi-Schergen die jüdische Familie, sperrten die Mutter mit ihren vier Kindern in das mit Stacheldraht umzäunte Juden-Ghetto Rigas. Mit Glück entging Isaak Kleimann als einziges Mitglied seiner Familie den ersten Erschießungen. Später schloss sich der junge Mann einer jüdischen Widerstandsgruppe im Ghetto an. 1943, als die Gestapo von dem jüdischen Geheimbund Wind bekam, hatte Isaak Kleimann noch einmal Glück. Als 19-Jähriger konnte er vor dem sicheren Erschießungstod fliehen, rettete sich zu seinem einstigen Kindermädchen und kam schließlich bei zwei gottesfürchtigen Schwestern unter, wo er sich bis zur Befreiung Rigas in einem kleinen Zimmer versteckte.
Isaak Kleimann gehört zu den Überlebenden. Doch nach den grausamen Erlebnissen ist nichts wie es war. Weshalb ist er einer der wenigen Glückspilze? Die Frage treibt den 80-Jährigen noch heute um. Vor allem aber hat der Lette eine ganz klare Haltung gegenüber Gewalt und Kriegen: "Solange Antisemitismus und Hass in den Köpfen sind", könne alles passieren, warnt er und spricht die Massenvernichtungswaffen unserer Zeit an. Trotzdem sagt Isaak Kleimann von sich selbst, was man dem willensstarken Mann ansieht: Er sei ein Optimist. Hoffnung schöpft der Lette, der nach den Holocaust-Erlebnissen zum Adventist geworden ist, vor allem aus der Bibel. Bis zu seiner Pensionierung wirkte Isaak Kleimann als Prediger, lehrte Gläubigen den friedlichen Umgang miteinander.
Isaak Kleimann, der schon auf einem Gymnasium in der lettischen Hauptstadt Riga Deutsch gelernt hat, ist derzeit auf Initiative des Gütersloher Psychologen Hans-Jürgen Gabers in der Dalkestadt zu Gast. Der engagierte Arzt beschäftigt sich (wie "Die Glocke" bereits berichtete) seit langem mit der Geschichte des jüdischen Ghettos in Riga. Nicht ohne Grund: Es war leidvolles Ziel vieler Juden-Deportationen, darunter auch der der Gütersloherin Klara Herzberg.
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