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Blick nach Rechts , 03.04.2013 :

Milde Urteile für Gewaltattacke

Bielefeld. Wegen eines Überfalls auf eine Gaststätte im ostwestfälischen Minden vor über zwei Jahren sind sieben Neonazis vom Landgericht Bielefeld zu relativ niedrigen Strafen verurteilt worden.

Die Rechtsextremisten hatten den vermeintlich linken Kneipen-Besuchern einen "Denkzettel" verpassen wollen und waren vermummt in das Lokal gestürmt. Als "politisch motivierte Selbstjustiz" wertete das Landgericht die Attacke, bei der ein Mensch verletzt und das Interieur des Ladens verwüstet worden war.

Das Gericht verurteilte den 31-jährigen Haupttäter Andre B. aus Minden zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten auf Bewährung wegen Körperverletzung, gemeinschaftlicher Sachbeschädigung und Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Der Richter sah es als erwiesen an, dass B. einen dunkelhäutigen Gast niedergeschlagen, die Einrichtung der Kneipe beschädigt und "Heil Hitler" gerufen hatte.

Sechs weitere Männer wurden wegen Sachbeschädigung zu Geldstrafen in unterschiedlicher Höhe verurteilt. Das Verfahren gegen einen 22-jährigen aus Bielefeld wurde gegen eine Geldauflage eingestellt. (jf)

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Die extreme Rechte in Ostwestfalen-Lippe , 27.03.2013 :

Geringe Strafen für Neonazi-Überfall auf den "Hamburger Hof" in Minden

Von Michael Heinrichs

Heute, am 27. März 2013, endete nach vier Verhandlungstagen vor der IV. Strafkammer des Landgerichts Bielefeld der Prozess gegen acht Neonazis wegen des Überfalls auf die Gaststätte "Hamburger Hof" in Minden am 28. November 2010.

Die Angeklagten

Der Hauptbeschuldigte Andre Bille (31) aus Minden wurde wegen Gemeinschaftlicher Sachbeschädigung sowie Körperverletzung und des Verwendens verfassungsfeindlicher Symbole zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, ausgesetzt zur Bewährung auf drei Jahre, verurteilt. Ferner muss er eine Geldbuße in Höhe von Euro 2.000 an das Kuratorium "Erinnern - Forschen - Gedenken" der Herforder Gedenkstätte Zellentrakt in monatlichen Raten von 100 Euro sowie anteilig die Verfahrenskosten - und unabhängig vom Urteil wie allen anderen Angeklagten - seine eigenen Auslagen für die juristische Verteidigung zahlen. Bille, vertreten durch den Szene-Anwalt Stefan Böhmer aus Erlangen, nahm das Urteil an.

Christian Wiegmann (24) aus Lübbecke, vertreten durch Szene-Anwalt Klaus Kunze aus Uslar, erhielt 90 Tagessätze in Höhe von 25 Euro wegen Gemeinschaftlicher Sachbeschädigung, da er sich laut mündlicher Urteilsbegründung neben Bille im "Hamburger Hof" auch "hervorgehoben" habe. Er nahm das Urteil ebenfalls an und muss zusätzlich die Verfahrenskosten zahlen.

Marco Franke (37) aus Petershagen, in der Szene "Hans" genannt und Koordinator des Überfalles sowie der Vorbereitung des Prozesses, wurde zu 80 Tagessätze in Höhe von 10 Euro wegen Gemeinschaftlicher Sachbeschädigung sowie der Zahlung der Verfahrenskostens verurteilt. Verteidigt wurde Frank von Rechtsanwalt Thomas Röckemann aus Minden, der für seinen Mandanten, "einem unbescholtenen Bürger", lediglich erklärte, auf die Rechtsmittelbelehrung zu verzichten. Franke trat als Direktkandidat der NPD bei der NRW-Landtagswahl am 22. Mai 2005 an. Als Anführer der Neonazi-Gruppierung "Hermannsbund" hatte er in Petershagen zudem vor allem Jugendliche und Heranwachsende rekrutiert. Ermittlungen gegen Akteure des "Hermannsbund" gab es unter anderem im Zusammenhang mit rassistischen Schmierereien und Zerstörungen am Gemeindezentrum der evangelisch-freikirchlichen Sinti-Gemeinde Petershagen-Quetzen.

Markus O. (31) aus Vlotho wurde zu 80 Tagessätze in Höhe von 40 Euro wegen Gemeinschaftlicher Sachbeschädigung sowie der Zahlung der Verfahrenskostens verurteilt. Sein Rechtsanwalt erklärte, auf die Rechtsmittelbelehrung zu verzichten.

Sascha D. (34) aus Herford wurde zu 80 Tagessätze in Höhe von 20 Euro wegen Gemeinschaftlicher Sachbeschädigung sowie der Zahlung der Verfahrenskostens verurteilt. Sein Rechtsanwältin erklärte, auf die Rechtsmittelbelehrung zu verzichten.

Patric Z. (23) aus Minden wurde zu 80 Tagessätze in Höhe von 30 Euro wegen Gemeinschaftlicher Sachbeschädigung sowie der Zahlung der Verfahrenskostens verurteilt. Als Einziger der Angeklagten entschuldigte sich Z., unabhängig vom Prozess, persönlich beim Betreiber des "Hamburger Hofes" und sagte in seiner Einlassung umfassend und für Beobachtende glaubwürdig zum Tatgeschehen und zur rechten Erlebniswelt in Minden aus. Z. nahm das Urteil an.

Jannik R. (22) aus Hille wurde wegen Gemeinschaftlicher Sachbeschädigung auf Grund der Anwendung des Jugendstrafrechtes zur Zahlung einer Geldbuße an das Kuratorium "Erinnern - Forschen - Gedenken" in Höhe von Euro 600, entsprechend seiner monatlichen Einnahme, verurteilt und ist von einer Zahlung der Verfahrenskosten ausgenommen. Sein Rechtsanwalt erklärte, auf die Rechtsmittelbelehrung zu verzichten.

Gegen Alexander Michael H. (22) aus Bielefeld wurde das Verfahren gegen eine Zahlung von Euro 600 an das Kuratorium "Erinnern - Forschen - Gedenken" nach dem Jugendgerichtsgesetz vorläufig eingestellt.

Weiteres Verfahren

Der Angeklagte Michael T. (25) aus Extertal war zum ersten Prozesstag am 6. März 2013 nicht erschienen, das Verfahren wurde auf Beschluss der Kammer abgetrennt, eine Terminierung steht noch aus. T. sagte in einem am 4. September 2012 mit Freisprüchen beendeten Prozess vor der 6. Strafkammer des Landgerichts Osnabrück gegen vier Männer und eine Frau aus Bünde, Kirchlengern und Minden wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung am 1. August 2010 auf einem Konzert - beziehungsweise am Rande dieser "Benefiz-Veranstaltung" - in Markendorf (Landkreis Osnabrück) als Entlastungszeuge aus. Angeklagt waren unter anderem die einschlägig vorbestraften Neonazis Marcus Winter aus Minden und - als Hauptangeklagter - Michael Rose aus Bünde.

Vorgeschichte: Erfolgreiche Aufklärungsarbeit zum Überfall

Im Kreis Minden-Lübbecke gab es im Jahr 2011 41 rechte Straftaten, eine Steigerung um 46,4 Prozent gegenüber den 28 Taten im Jahr 2010. Dies gab der Polizeiliche Staatsschutz für Ostwestfalen-Lippe im Rahmen einer am 2. Juli 2012 in Bielefeld durchgeführten Pressekonferenz bekannt. Der damalige Leiter der Behörde, Kriminalrat Andreas Schramm, bezeichnete dabei die Aufklärungsarbeit zum Überfall auf die Gaststätte "Hamburger Hof" am 28. November 2010 in Minden als "Glücksfall", weil sie Einblicke in die rechte Szene und ihr Umfeld ermöglicht habe: "Der Hamburger Hof hat dazu geführt, dass wir in dem Bereich unsere Pappenheimer kennen", so Schramm. Die erfolgreichen polizeilichen Ermittlungen waren im Rahmen einer eigens gebildeten Ermittlungskommission mit Namen "EK Hamburg" in Zusammenarbeit mit der Kreispolizeibehörde Minden-Lübbecke geführt worden. Schramm zeigte sich auf der Pressekonferenz "verwundert", dass es auch nach mehr als anderthalb Jahren noch keine Verurteilungen, ja nicht einmal einen Gerichtstermin gegeben hat.

14 ermittelte Tatverdächtige

Denn bereits am 12. Januar 2011 gab das Polizeipräsidium Bielefeld unter der Überschrift "Überfall auf Hamburger Hof in Minden aufgeklärt" bekannt: "Der Staatsschutz Bielefeld ermittelt als Täter 14 Personen aus der lokalen rechten Szene." Am 5. April 2011 hatte der Polizeiliche Staatsschutz dann in der "Jahresbilanz 2010 - Politisch motivierte Kriminalität" zu Protokoll gegeben: "( ... ) stürmte am 28.11.2010, gegen 02.00 Uhr, eine Gruppe vermummter und mit Schlagstocken bewaffneter Personen des "rechten Lagers" die Gaststätte "Hamburger Hof" in Minden." Und weiter: "Ein Farbiger wurde hierbei in der Gaststätte zu Boden geschlagen. Als Haupttäter kristallisierten sich zwei "Rechte" heraus, die primär sowohl für die Körperverletzung als auch für die anschließende Verwüstung des Lokals in Frage kommen. Nahezu alle der insgesamt 14 ermittelten Tatverdächtigen, von denen einige dem Staatschutz bisher unbekannt waren, sind geständig."

Prozess über 27 Monaten nach der Tat

Am 6. März 2013 begann vor der IV. Strafkammer des Landgerichts Bielefeld ein Prozess gegen acht Neonazis. Wegen des Alters einiger der Beschuldigten, die beim Überfall erst 20 Jahre alt waren, erhob die zuständige Staatsanwaltschaft Bielefeld zunächst beim Jugendschöffengericht am Amtsgericht Minden Anklage. Da die Taten zu Haftstrafen zwischen sechs Monaten und zehn Jahren hätten führen können, fand die öffentliche Verhandlung vor dem Landgericht Bielefeld statt.

Wesentliche Ergebnisse der Hauptverhandlung

Von einem Rechtsrock-Konzert in einem alten Luftschutzbunker in der Cecilienstraße kommend, sind die Neonazis in den "Hamburger Hof" eingedrungen. Dabei rief Andre Bille "Heil Hitler" und "Sieg Heil" und führte den Hitlergruß aus. Weitere Täter hatten mit Hilfe von Barhockern unter anderem die Glastür eines Kühlschranks, einen Zapfhahn, Flaschen und Gläser zerstört und durch Tritte einen Heizpilz beschädigt. Bille versetzte einem hinzukommenden dunkelhäutigen Gast einen so kräftigen Ellenbogenstoß gegen das Kinn, dass dieser benommen zu Boden ging. Anschließend flohen die neonazistischen Täter.

Prozess-Splitter

Vorsitzender Richter Christoph Meiring in der mündlichen Urteilsbegründung: "Es erhob sich nicht der Sturm der Weimarer Republik, sondern ein laues, alkoholgetränktes Lüftchen."

Rechtsanwalt Stefan Böhmer zum Hintergrund des Verfahrens: "Hier tobt ein unerklärter Bürgerkrieg!"

Rechtsanwalt Thomas Röckemann zum Rechtsrock-Konzert im Luftschutzbunker: "Die friedvolle Party-Stimmung war jäh zu Ende."

Fazit

Obwohl die IV. Strafkammer im Laufe der Beweisaufnahme des Überfalles auf den "Hamburger Hof" bemüht war, die politischen Hintergründe nicht zu verschweigen, bagatallisierte der Vorsitzende Richter Christoph Meiring in der mündlichen Urteilsbegründung mit der Äußerung, hier seien "keine militanten Neonazis" auf der Anklagebank vertreten, die lebensbedrohliche und alltägliche Gefährdung aller Menschen, die nicht in das per se gewalttätige - auch aktuelle - Weltbild der Mehrheit der Angeklagten passen, die sich vor der Tat mit der Begleitmusik für Mord und Todschlag im Luftschutzbunker ideologisch aufputscht hatten. In den Verhandlungsunterbrechungen wurde bei den häufigen Zusammentreffen von fünf der acht Angeklagten Klartext im Szene-Jargon geredet. So beispielsweise zeitnahe nach der Zeugenaussage eines Farbigen, dass "der Neger abgeschoben" und in "seinen Arsch eine Banane gestopft" gehöre.

Dringend aufgearbeitet werden muss in diesem Zusammenhang der respektlose Umgang der Kammer mit den als Zeuginnen und Zeugen angehörten Opfern des neonazistischen Überfalles auf den "Hamburger Hof". Ein ausführlicher Rückblick auf die vier Verhandlungstage erfolgt in den nächsten Tagen.


nandlinger@bnr.de

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