Mindener Tageblatt ,
16.10.2004 :
"Uns fehlt das Vertrauen zu den Palästinensern" / Israelischer Botschafter Shimon Stein sieht nur langfristig Friedenschance im Nahen Osten / 400 Zuhörer in Bückeburg
Von Jens Große
Bückeburg (jg). "Schnelle Lösungen für den israelischen-palästinensischen Konflikt sind unrealistisch. Dem Friedenprozess fehlt noch die nötige Reife" für eine konkrete Umsetzung. Das ist die Auffassung des israelischen Botschafters, Shimon Stein, der auf Einladung der Konrad-Adenauer-Stiftung in Bückeburg sprach.
Die Schloss-Remise ist fast bis auf den letzten Platz gefüllt. Rund 400 Zuhörer, darunter viele Soldaten und Schüler, wollen ihn live erleben: Shimon Stein, den aus Funk und Fernsehen bekannten israelischen Botschafter, der sich zum Thema "Frieden im Nahen Osten: Realistische Perspektive oder purer Hoffnungsschimmer?" angekündigt hat. Doch so aktuell das Thema auch ist, viele der Anwesenden sind einfach neugierig auf die vielen Bodyguards, Sicherheitsleute, dunklen Limousinen und mit Maulkörben ausgerüsteten Hunde - schließlich stellt man sich so die Ankunft eines politischen VIPs vor. Bei Bier und Wein ist das Tuscheln nicht zu überhören: "Mal sehen, wieviele Sicherheitsleute mitkommen", spekulieren viele und schauen umher.
Doch vor lauter Neugier merkt das Gros der Zuhörer nicht, dass der fast schmächtig wirkende Botschafter längst die Remise betreten hat. Im sportlich geschnittenen braunen Wollmantel kommt er durch einen Seiteneingang mit zwei Sicherheitsleuten, geht auf das Podium zu und nimmt Platz. Eigentlich alles ziemlich unspektakulär, oder täuscht der Eindruck? "Nein, bestimmt nicht", sagt Christian Schleicher, Leiter des Bildungswerkes der Adenauer-Stiftung. "Gehen Sie ruhig zu ihm hin und machen ein Foto - heute alles kein Problem."
Stein , der fast fließend deutsch spricht, ist ein geschulter Rhetoriker. Der studierte Historiker, Jahrgang 1948, versteht es, den komplizierten Sachverhalt des Konfliktes zwischen Arabern und Israelis verständlich darzustellen; wobei sein Versuch, die Auseinandersetzung stark historisch auszuleuchten auffällt. Kritische Reflexionen mit Blick auf die israelitische Position spricht der Botschafter nicht an. Stein mit Blick auf ein mögliches Zeitfenster des Friedens: "Schnelle, sogenannte Instant-Lösungen wird es bei diesem Konflikt nicht geben." Zwar fordere unser Zeitgeist immer nach schnellen, greifbaren Ansätzen, die werde es im Nahen Osten aber nicht geben. Stein: "Ich bin mir sicher, dass es zum Frieden kommen wird - aber noch ist die 'Reife' dafür nicht vorhanden."
Bei der Ursachenforschung sieht der Diplomat den Auslöser eindeutig bei den Palästinensern: So lange sie nicht die Legitimation des israelischen Staates anerkennen, wird der Konflikt weiter schwelen, was Stein auch mit einem Blick auf die Gründungspostulate der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) verdeutlichte. Stein: "Es gibt keine politischen Ziele, sondern nur die Liquidierung unseres Staates soll umgesetzt werden."
MIt Blick auf den alltäglichen Terror in seiner Heimat sagte Stein: "Sie können dankbar dafür sein, so etwas nicht erleben zu müssen." Öffentliche Auftritte, so wie der in Bückeburg, bedeuten in Israel immer eine Gefahr. "Sie wissen nie, ob jemand mit einem Sprengstoffgürtel hereinkommt und Unschuldige mit in den Tod reißt." In diesem Zusammenhang verteidigte Stein auch die gezielten Tötungen von Terroristen und den Bau des umtrittenen Zauns im Gazastreifen. Sein diplomatischer Standpunkt: "Seit der Zaun steht, sind in diesem Gebiet weniger Anschläge verübt worden." Völkerrechtliche Gegenpositionen entkräftete der Botschafter: "Das Völkerrecht entstand zu einer Zeit, als es noch keinen Terrorismus gab." Insofern müsse diese juristische Größe erst einer Überarbeitung unterzogen werden, bevor sie zur Anwendung im Nahen Osten komme.
Perspektivisch machte Stein deutlich, dass trotz der schlimmen vergangenen vier Jahre, in denen besonders viele Attenate in Israel verübt wurden, der Friedenswille seiner Landsleute vorhanden ist. Stein: "Es herrscht auch durchaus die Bereitschaft vor, umstrittene Gegenden abzugeben." Doch momentan scheitere es an einem Punkt - und das ist der entscheidende: "Die Palästinenser, die vorgeben, ihr Land zu führen, können für uns keine Partner sein. Wir haben in sie das Vertrauen verloren."
16./17.10.2004
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