Lippische Landes-Zeitung ,
15.10.2004 :
Tiefflieger gegen Straßenbahn / Heute vor 60 Jahren starben 21 Menschen bei Luftangriff in Horn
Von Robin Jähne
Horn-Bad Meinberg/Schlangen. Es war ein schöner Tag mit blauem Himmel und klarer Luft - daran kann sich Lieselotte Richts noch erinnern. Doch was dann geschah, war entsetzlich. Es war vor genau 60 Jahren, am 15. Oktober 1944. Der Sonntag, als alliierte Tiefflieger zwei Straßenbahnen angriffen. Von 21 Toten und 72 Verletzten berichtet Richts. Ihr Vater überlebte. Er war einer der Fahrer der Straßenbahnen.
Die Bahnen verkehrten zwischen Detmold und Paderborn, über Horn und Schlangen. Die Route führte allerdings nicht zwischen den Externsteinen hindurch, wie es alte Postkarten romantisieren, sondern sie verlief über die Egge. Heinrich Haase aus Schlangen arbeitete damals als Lehrling bei seinem Onkel in Meiersfeld, der dort eine große Landwirtschaft verwaltete.
"Ich war damals 17 Jahre alt. Wir wollten zu einer Trauerfeier für einen anderen Onkel nach Schlangen reisen. Mit dem Fahrrad ging es nach Remmighausen, wo wir in die Straßenbahn einstiegen", erinnert sich Haase. Zu diesem Zeitpunkt habe es schon Voralarm gegeben - bei dem die Bahn noch fahren durfte. Bei Fliegeralarm musste sie stehen bleiben. "Ich sah in Richtung des Fliegerhorstes schon Jagdbomber", berichtet Haase. Die Bahn fuhr nach Horn, passierte dort eine Weiche. Als sie aus Horn heraus fuhr, beobachtete Haase die Flugzeuge wieder, sie kamen aus Richtung Meinberg und Leopoldstal. Die Straßenbahn befand sich zu dem Zeitpunkt am Waldschlösschen.
"Ich sprang aus dem Wagen, rannte in Richtung des Waldes. Dort war ein Graben, in den ich mich hinein legte", sagt Haase. Das rettete ihm vielleicht das Leben. Er konnte beobachten, wie die Flieger, die knapp über den Baumwipfeln kreisten, das Feuer eröffneten. Später fielen an kleinen Fallschirmen Splitterbomben. Er sah, wie sein Onkel dabei half, Frauen und Kinder aus der Bahn zu schaffen. Sein Onkel Ernst wurde dabei am Kopf getroffen, nahm ein Taschentuch, damit das Blut nicht auf den Sonntagsmantel rann.
"Dann wurde ihm der Ellenbogen weggeschossen, sein Bein wurde getroffen, und schließlich bekam er ein Geschoss in die linke Schulter", beschreibt Haase, sichtlich bewegt, die brutalen Details. Ernst Haase wurde in den Meinberger Stern gebracht, der damals als Hospital fungierte. Nach zehn Tagen erlag er den Verletzungen.
Von dem schweren Angriff berichtete auch das Einschreibebuch von Adolf Schäferjohann. "Er war damals Gendarm in Horn", berichtet Ernst Schäferjohann vom Vater. Mit dem Fahrrad sei sein Vater, der zu diesem Zeitpunkt 53 Jahre alt war, zum Waldschlösschen gefahren, um die Rettungsarbeiten zu koordinieren. Er kümmerte sich auch um Ernst Haase, den er gut kannte: Adolf Schäferjohann hatte Ernst Haase in seiner Kinderwiege beim großen Brand 1904 aus dem Haus geholt und ihn betreut. Der Pastor Finke, der auch in der Bahn war, um zu dem Gottesdienst in Schlangen zu gelangen, wurde übrigens nicht verletzt.
Auch die Straßenbahn, die in Gegenrichtung nach Detmold fuhr, wurde angegriffen. Chauffeur war Fritz Klöpping, der Vater von Lieselotte Richts. "Um 9.15 Uhr war er in Horn gestartet. Als der Voralarm kam, sagte er, wer wolle, könne aussteigen, was aber keiner der Fahrgäste tat", berichtet Richts.
Sie arbeitete damals in Horn und höre heute noch das laute Rattern der Maschinengewehre während des Angriffs. Am Fromhauser Weg wurde die Bahn attackiert. "Der Splitter einer Bombe verletzte meinen Vater am Oberschenkel", berichtet Richts. Der 55-Jährige habe die Schlänger Schaffnerin Anneliese Herdehunecke gebeten, die Wunde zuzuhalten, damit er nicht verblute. Sie könne das nicht, habe die geantwortet. "Du wirst es können müssen", habe der Vater erwidert, erzählt Lieselotte Richts weiter.
Später habe sie den Vater im Behelfslazarett in einer Horner Arztpraxis besucht. "Der ganze Flur war voller Blut", schildert sie das Kriegsszenario. Noch heute sei ihr das grauenvolle Bild präsent - damals erlitt sie einen Schock. Mit einem geliehenen Fahrrad sei sie dann von ihrer Arbeitsstelle in Horn nach Schlangen gefahren - eine Krankenschwester habe sie gefragt, ob sie den Weg über die Egge nehmen könne. Man könne da vorbei, antwortete die Schwester, doch dazu seien starke Nerven nötig. "Also fuhr ich lieber einen anderen Weg", erzählt Lieselotte Richts. Einen anderen Weg als jenen, den die Straßenbahnen genommen hatten.
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