Mindener Tageblatt ,
09.10.2004 :
Bis heute keine große Lobby für Aufarbeitung / Historiker Prof. Wolfgang Benz referierte zum Thema: Hilfe für Juden im Untergrund
Von Jens Große
Minden (jg). Claus Graf Schenk von Stauffenberg, der personifizierte Inbegriff des militärischen Widerstands gegen das Nazi-System, ist hinlänglich bekannt. Das gilt auch für die Geschwister Scholl. Doch es gibt noch viele andere, die zuviel riskierten, um beispielsweise Juden im Untergrund zu helfen. Von ihnen war lange Zeit keine Rede.
Da gab es einen unauffälligen Hausmeister und eine Schrebergarten-Besitzerin in Berlin. Der Hausmeister stemmte im Keller eines Mietshauses ein Loch in die Wand, um Juden ein Versteck zu geben. Die Schrebergarten-Besitzerin versteckte über ein Jahr in ihrem Hinterzimmer einen jungen Juden, der später deutsche Fernsehgeschichte schrieb: Hans Rosenthal.
Doch weder der Hausmeister, noch Frau Jauch, die Rosenthal-Helferin, haben historische Größe erlangt. Im Gegenteil: Eigentlich sind sie völlig unbekannt geblieben, bildlich könnte man auch sagen: Sie waren der Geschichtswissenschaft bis dato noch nicht mal eine Fußnote wert, was den Berliner Historiker Prof. Dr. Wolfgang Benz motiviert, die unbekannten Helfer zu durchleuchten.
Seit Jahren schon beschäftigt sich der renommierte Historiker, der das Institut für Antisemitismus-Forschung leitet, mit den Namenlosen – also einem vergessenen Widerstand gegen das NS-Regime. Benz, der auf Einladung der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, der Aktionsgemeinschaft Friedenswoche, des Mindener Geschichtsvereins und der Jüdischen Kultusgemeinde, sprach: "Den heroisierten Widerstand kennen wir alle – die Hilfe im Untergrund ist uns fast gänzlich unbekannt."
Benz, der auch Autor des Lexikons des Widerstandes ist, machte vor den 50 Zuhörern deutlich, dass es auch nicht einfach sei, die unbekannten Helfer historisch aufzuarbeiten. Viele sind nach 1945 ins Ausland gegangen, viele Historiker hatten an ihnen kein Interesse.
Selbst 700 Interviews mit Helfern lassen keinen roten Faden der Hilfs-Motivation erkennen. Denn der Katalog der Gründe für die gefährlichen Initiativen ist lang: Es gibt religiöse und generell antifaschistische Haltungen bei den Helfern, aber auch der Zufall bzw. die persönliche Vorteilsnahme spielen eine nicht zu unterschätzende Rolle. Benz: "Vorteilsnahme bedeutete auch in vielen Fällen Liebesdienste."
Empirisches Zahlenmaterial gibt es kaum: Schätzungen gehen davon aus, dass rund 5.000 Juden ab 1941 diesen Weg des Versteckens wählten, rund 1.500 konnten so gerettet werden. Vorstellungen, wie das Zusammenleben zwischen Helfern und Unterstützten im Alltag aussah, kann man sich aus heutiger Rückschau nicht machen. Enge, extreme menschliche Nähe auf wenigen Quadratmetern definierte das Zusammenleben, das auch ganz alltägliche Probleme mit sich brachte: So musste die Schrebergarten-Besitzerin täglich die Fäkalien von Hans Rosenthal beseitigen – er durfte ja nicht aus der Laube heraus. Allerdings machte der Berliner Historiker in diesem Zusammenhang auch deutlich, dass es im NS-Regime – juristisch gesehen – keinen Straftatbestand erfüllte, einem Juden zu helfen. Benz: "Das war nicht gleichbedeutend mit dem Todesurteil", was viele bis heute noch glauben. Natürlich waren schwere Repressalien sofort spürbar. Benz: "Gerade weil nach 1945 immer wieder gesagt wurde Helfen – das hätte ja mein eigenes Todesurteil bedeutet, dürfen wir diese unsaubere historische Verzerrung nicht mitmachen."
09./10.10.2004
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