Lippische Landes-Zeitung ,
05.10.2004 :
Fliegeralarm und Fehlbomben / Salzufler Autor Kurt Müller verarbeitet Kriegserinnerungen in neuem Buch
Bad Salzuflen (gr) Seit zwei Jahren lebt Kurt Müller wieder in Bad Salzuflen: Der 1933 geborene Autor kehrte im Alter von 24 Jahren seiner Heimatstadt zunächst den Rücken und ging als überzeugter Kommunist in die DDR. Jetzt stellte er sein neuestes Buch "Die Mörder sitzen in der Oper" in der Stadtbücherei vor, das Erinnerungen an Bad Salzuflen zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs beinhaltet und dessen Fakten teilweise mit Hilfe von Stadtarchivar Franz Meyer recherchiert sind.
Müller las sechs Geschichten aus seinem Buch, das Tatsachen mit fiktiven Dialogen verbindet. Durch seine professionelle Lesetechnik schlug der Autor das Publikum eine knappe Stunde in seinen Bann. Die Geschichten "Trittbrettfahrer", "Brummkreisel für Lotti" und "Die Mörder sitzen in der Oper" beschreiben mögliche Gespräche kurz vor der Ermordung der Sozialistin Rosa Luxemburg und des Journalisten Felix Fechenbach bzw. dem Selbstmord des Dichters Walter Hasenclever.
Besonders interessiert lauschte das Bad Salzufler Publikum den autobiographischen Geschichten, die von Zeitzeugen spontan bestätigt wurden, genau wie beispielsweise der Männlichkeitswahn der 30er- und 40er-Jahre. In der Erzählung "Im Stollen" beschreibt Müller seinen Kontakt zu russischen Kriegsgefangenen, die in der Wenkenstraße etwa in Höhe der Salzebrücke mit Hacke und Spaten einen Luftschutzbunker graben mussten.
"Nach dem Krieg erfuhren wir die schreckliche Wahrheit"
Kurt Müller
Als Kind gelang es ihm, den Gefangenen ein Brot zuzustecken. Im Gegenzug bekam er ein Holzspielzeug geschenkt, mit dem seine Schwester noch lange spielte. "In dem Bunker drang das Wasser durch alle Ritzen", erinnerte sich Müller. "Salzuflen wurde nicht bombardiert, aber es gab häufig Fliegeralarm, in der Wasserfuhr und der Herforder Straße schlugen Fehlbomben ein, die für Bielefeld vorgesehen waren."
In "Das Banner muss stehen" beschreibt der Autor den Kriegswahn, der schon in der so genannten Jungschar (Vorstufe der Hitlerjugend) begann. "Strammstehen, Kriegslieder singen und im Gleichschritt marschieren, daran konnte ich mich nie gewöhnen", so Müller. Als der Krieg vorbei war, blieb von dem Bild des toten Soldaten mit dem Spruch "Das Banner muss stehen, wenn der Mann auch fällt!" nur das helle Quadrat an der Wand.
Noch ernster ist die Geschichte "Verletzt". Hier beschreibt Müller den Einzug seiner Familie in die Wohnung in der Oberen Mühlenstraße, die vorher der jüdischen Familie Berghausen gehörte - angeblich wurde sie in Böhmen angesiedelt. "Nach dem Krieg erfuhren wir die schreckliche Wahrheit", bekannte der Autor. Auch den rüden Methoden der Züchtigung widmet sich der Schriftsteller: Schläge und Bedrohungen durch Erwachsene waren an der Tagesordnung.
Trotz der Schwere beschreibt Müller vieles mit Humor, so erlebte der Junge Kurt, wie die Bürger auf einmal die Kriegsgefangenen freundlich behandelten, nachdem niemand mehr an den großen Sieg glaubte. Dichtung und Wahrheit seien eng beieinander, einiges sei ein bisschen verfremdet, damit niemand wiedererkannt würde, obwohl sich wahrscheinlich einige selbst wiedererkennen, erklärte der Autor.
Im Anschluss an die Lesung stellte er sich den Fragen des Publikums. Müller ging als überzeugter Kommunist in die DDR. Im "Zirkel schreibender Arbeiter" wurde ihm Mut zum Schreiben gemacht, dort erlernte er auch das Handwerkszeug. 1975 kehrte er zurück und lebte in Herford und Bielefeld. "Schreiben ist beständig wie eine Seuche", sagt der Autor, der im Verband deutscher Schriftsteller ist.
Kurt Müller: "Die Mörder sitzen in der Oper" - Erzählungen, Erinnerungen an Verbrechen und Opfer in der NS-Zeit, First-Minute-Taschenbuchverlag 2004.
salzuflen@lz-online.de
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