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Schaumburger Nachrichten Online , 18.09.2012 :

VHS-Podium / "Erschreckendes Klima der Angst"

18.09.2012 - 19.58 Uhr

Über den Grad an Gefährdung durch rechtsextreme Jugendliche in Bückeburg bestehen weiterhin unterschiedliche Einschätzungen. Das ist während der Podiumsdiskussion der Volkshochschule Schaumburg am Montagabend zum Thema "Angriff von Rechtsaußen" im Stadthäger Ratskeller (wir berichteten) deutlich geworden.

Landkreis (ssr). Nach Überzeugung des hiesigen SPD-Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy handelt es sich in Bückeburg "nicht um ein Rechts-Links-Problem, wie gelegentlich behauptet wird". Richtig sei vielmehr: "Hier bereiten Rechtsextremisten demokratischen Jugendlichen Angst und Einschüchterung." Er mache sich über Haltungen Sorgen, die dem Phänomen mit der Grundeinstellung "Ist ja alles nicht so schlimm" begegneten, fügte Edathy hinzu. Gefordert sei vielmehr der Maßstab "null Toleranz".

Wolfgang Kreykenbohm, Leiter der Polizeiinspektion Nienburg-Schaumburg, sprach hingegen von einem "Konflikt zwischen zwei Gruppen". Der Polizeichef weiter: "Wir haben noch keinen zutreffenderen Begriff dafür gefunden." Tatsache sei, "dass Gewalt von beiden Seiten ausgeht", fügte Kreyckenbohm hinzu. Zwar gehe der Großteil der Übergriffe von der rechtsextremen Szene aus, "aber Gewalt gibt es eben auch aus der anderen Richtung". Die bisherige Gesamtzahl von 75 gewaltsamen Vorkommnissen biete keinen Anlass für übertriebene Sorgen, so der Experte. Sämtliche Beteiligten seien der Polizei bekannt. "Wir hoffen, dass wir die Lage, was polizeiliche Möglichkeiten angeht, in den Griff kriegen." Allerdings seien auch andere gesellschaftliche Einrichtungen gefordert.

Das sah auch Edathy so. "Zum Beispiel müssen die Schulen Flagge zeigen", appellierte er. Betrüblich seien Vorgänge wie dieser: Vor den jüngsten Sommerferien habe die Schülervertretung der Herderschule, der damaligen Realschule, angeregt, diese solle sich durch geeignete Aktionen für das bundesweite Zertifikat "Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage" bewerben. Die Schulleiterin habe dies aber abgelehnt mit dem Hinweis, man solle jene Schüler mit rechtsextremen Tendenzen nicht provozieren. "Das ist das Gegenteil von dem, was ich unter Zivilcourage verstehe", kritisierte Edathy.

Von einem "erschreckenden Klima von Angst und Misstrauen" sprach der Moderator des Podiums, der NDR-Redakteur Stefan Schölermann. Der NDR recherchiere seit Wochen und habe noch nichts gesendet, "weil die Lage sehr kompliziert und schwierig ist". Dass in Bückeburg Angst verbreitet sei, bestätigte auch Kreyckenbohm. Dies führe leider auch dazu, "dass wir von betroffenen Schülern und deren Eltern manchen Hinweis nicht erhalten, den wir für die Ermittlungen gut gebrauchen könnten".

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Schaumburger Nachrichten Online, 17.09.2012:

Diskussionsabend / "Beschämende Ermittlungsmethoden"

17.09.2012 - 22.06 Uhr

Nicht alle Tage erleben Veranstaltungen der Volkshochschule Schaumburg (VHS) einen solchen Ansturm: Rund 270 Zuhörer hat das Forum "Angriff von Rechtsaußen" am Montagabend in den Stadthäger Ratskeller gezogen. VHS-Fachbereichsleiter Alfred Reckmann bot den Diskussionsabend in Kooperation mit der Friedrich-Ebert-Stiftung dar.

Stadthagen (ssr). Mucksmäuschenstill war es, als der hiesige Abgeordnete Sebastian Edathy als Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestags von seinen Erfahrungen berichtete. Phasenweise sichtlich bewegt erzählte Edathy von Gesprächen, die er mit Angehörigen von Mordopfern türkischer Herkunft des Neonazi-Trios geführt hat. "Mit beschämenden Ermittlungsmethoden" seien diese teilweise durch Polizei und Verfassungsschutz konfrontiert worden. Dieses "traurige Vorgehen" sei "in unbegreiflicher Weise von vorurteilsbehafteten Motiven" geleitet worden. Ähnlich "fassungslos" sei er, in welch unverantwortlicher Weise V-Leute geführt worden seien.

Noch habe der Ausschuss kein abgeschlossenes Bild vom "massiven Versagen" der Sicherheitsbehörden, sagte Edathy. Doch drei Grunderkenntnisse habe er persönlich schon jetzt festzustellen. Zum einen sei über lange Zeit ein "erstaunlicher Mangel an Sensibilität" gegenüber dem Gefahrenpotenzial deutscher Neonazis nachweisbar: "Offenbar hat man sich einen mörderischen Rechtsextremismus hier nicht vorstellen können."

Zweitens seien "vorurteilsbehaftet" lange Zeit falsche Spuren verfolgt worden, indem die Täter im Umfeld der Opfer gesucht wurden. Und dies, obwohl die Summe der Indizien dies nicht nahegelegt hätte. Und zum Dritten hätten die zahlreichen Sicherheitsdienste von Bund und Ländern in erschreckendem Maße nebeneinander her gearbeitet: "Da wurden Informationen offenbar eher als Privateigentum angesehen, aber nicht sachgerecht anderen Behörden mitgeteilt."

Ein schlimmer Schaden für die Demokratie wäre es, fuhr Edathy betont vorsichtig formulierend fort, wenn sich den "üblen Pannen bei der Ermittlung nun ein Behindern der Aufklärung durch Behörden anschließen sollte". Dies alles müsse Konsequenzen haben, forderte Edathy unter starkem Beifall: "Es reicht nicht, nur Führungspersonal auszutauschen, es müssen sich bei den Sicherheitsdiensten Strukturen ändern."

Unter Leitung von NDR-Moderator Stefan Schölermann beantworteten Edathy und - für die kommunale Ebene - Landrat Jörg Farr anschließend etliche Fragen aus dem Publikum zum Thema Rechtsextremismus.


sn@madsack.de

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