Neue Westfälische ,
05.10.2004 :
Die Frauen bemerken die Gefahr zu spät / Hilfe für Opfer von Menschhandel: Fünf Jahre "Nadeschda"-Prozessbegleiterinnen-Gruppe
Von Heidi Hagen-Pekdemir
Herford. "Nadeschda" ist Russisch und bedeutet so viel wie Hoffnung. "Nadeschda" heißt auch die in Herford ansässige Frauenberatungsstelle für Opfer von Menschenhandel. Die Prozessbegleiterinnen-Gruppe innerhalb der Organisation hat heute vor fünf Jahren zusammengefunden.
Sie hoffen auf Arbeit und eine gesicherte Existenz in Deutschland. Doch die Mehrzahl der aus osteuropäischen Ländern vermittelten Frauen zwischen 18 und 25 Jahren wird an Bordelle vermittelt. "Meist merken die erst hier, worauf sie sich eingelassen haben", sagt Luise Metzler, Bielefelder Theologin und Mitbegründerin der Prozessbegleiterinnen-Gruppe.
So wie Irina (Name und Ortsangaben geändert). Die inzwischen 23-jährige Polin wurde 1998 in ihrem Heimatland von zwei Männer gekidnappt. Die haben sie vergewaltigt, verprügelt, Zigaretten auf ihrer Haut ausgedrückt. Eine Woche lang. Danach brachten sie die Frau in ein Bordell im Kreis Gütersloh. Dort bediente sie jeden Tag 15 bis 20 Kunden.
Knapp drei Monate später vertraute sich Irina einem ihrer Kunden an, der die Polizei verständigte. Bei einer Razzia stellte sich heraus, dass die Männer, die Irina zur Prostitution gezwungen hatten, gesucht wurden.
Bei "Nadeschda" fand Irina Hilfe. Die Mitarbeiterinnen sorgten für eine sichere Unterkunft, kleideten sie neu ein, begleiteten die Polin zur Ausländerbehörde und vermittelteten ihr die Teilnahme an einem Deutschkurs. Außerdem sicherten sie ihr Unterstützung für den bevorstehenden Prozess zu. Irina wollte als Zeugin aussagen. Bis dahin vergingen anderthalb Jahre. Eine quälend lange Zeit, die Irina unter anderem zum Deutschlernen nutzte. Entscheidet sich eine Frau wie Irina zur Zeugenaussage, kann sie sich der Unterstützung der Prozessbegleiterinnen sicher sein. Tritt sie als Nebenklägerin auf, dann steht ihr eine Rechtsanwältin zur Seite, berichtet Sozialarbeiterin Corinna Dammeyer.
An den Verhandlungstagen sitzen "Nadeschda"-Frauen auf der Zuhörerbank. "Wir stärken den Zeuginnen im Wortsinn den Rücken", sagt Luise Metzler. Die Zuhörerinnen dürfen nichts sagen, keine Notizen machen. "Höchstens mal eine Augenbraue hochziehen." Die Theologin fährt fort: "Kaum zu glauben, welche Wirkung das hat - auch auf die Richter. Sobald Leute im Zuhörerraum sitzen, herrscht gleich eine völlig andere Atmosphäre."
Das Prozessende bedeutet für viele Frauen nicht zwangsläufig das Ende ihres Deutschlandaufenthalts. Einige haben sich hier während der Wartezeit auf die Verhandlung etabliert, Arbeit, womöglich einen Partner gefunden. Andere kehren zurück in ihre Heimat. Corinna Dammeyer: "Zurück in eine Ungewissheit. Das ist unbefriedigend."
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