Neue Westfälische ,
02.10.2004 :
Der Retter des "Pianisten" / Wilm Hosenfeld: Ein Offizier folgt seinem Gewissen
Bielefeld (rec). Fred und Inge Molters Überzeugung von der weltgeschichtlichen Sendung der Nazis brach erst zusammen, als die Alliierten die letzten Landstriche Deutschlands einnahmen. Die Briten bereits in Nienburg, Inges Wohnort und der ihrer Eltern, schrieb sie am 10. April 1945 in einem Brief an ihren Mann Fred: "Nach dem, was ich in den letzten Tagen erlebt habe, kann ich nicht mehr glauben, nur noch ein ganz klein wenig hoffen, weil ich es fest wünsche." Der Glaube an den "Führer" war die Jahre zuvor in der Zwiesprache des Paares immer wieder beschworen, angemahnt, bekräftigt worden.
Aus der Nazi-Mentalität hinauszufinden, war offenbar ein beschwerliches Unterfangen. Das wird an einem weiteren, in diesen Tagen umfangreich dokumentierten Fall deutlich, dem des hessischen Dorfschullehrers und Wehrmachts-Offiziers Wilm Hosenfeld. Der praktizierende Katholik, durch die Kirchenfeindlichkeit der Nazis und ihren Kampagnen gegen die katholische Kirche irritiert, aber nicht erschüttert, kehrte sich vom Nationalsozialismus endgültig erst ab, als die SS 1942 das Ghetto in Warschau zu räumen begann.
Aus Mitleid und Mitmenschlichkeit hatte Hosenfeld, der von 1939 bis zu seiner Gefangennahme durch die Russen im Januar 1945 in Polen, vor allem in Warschau eingesetzt war, viele Juden und Polen gerettet, auch unter Risiko des eigenen Lebens. Den Rassedünkel der Herrenmenschen hatte Hosenfeld nie geteilt. Bei der Niederschlagung des Warschauer Aufstands versuchte er, seinen General zu kriegsrechtlichem Verhalten gegen die Polen zu bewegen. Der Jude Wladyslaw Szpilman ist der bekannteste der von Hosenfeld geretteten Polen, Roman Polanski hat dessen Schicksal im "Pianisten" verfilmt. Hosenfeld versteckte den Musiker im November 1944 ausgerechnet im Dachstuhl des Hauses, in das der deutsche Kommandanturstab einzog.
Unter dem Titel "Ich versuche jeden zu retten" hat das Militärgeschichtliche Forschungsamt auf nahezu tausend Seiten Hosenfelds Briefe an die Familie und seine Tagebücher herausgebracht. Deutlich hebt sich die typische Biografie eines Ende des 19. Jahrhunderts geborenen Deutschen ab, der wegen hoher Ideale des Gemeinschaftslebens auf der Grundlage nationaler Gesinnung der Nazi-Ideologie verfiel. Hosenfeldd gehörte dem Wandervogel, dabei eher dem konservativen Flügel, an, war passionierter Soldat im Ersten Weltkrieg, später ein begeisterter Lehrer, Anhänger der Erlebnis-Pädagogik.
Hosenfeld geriet mit der so genannten Machtergreifung in den Sog der "nationalen Erhebung", geblendet vom Glanz des Regimes, der Inszenierungen der Reichsparteitage, dem "Erlebnis der großen Gemeinschaft". Hosenfeld war allerdings erst 1933 in die SA und 1935 in die NSDAP eingetreten.
Obwohl er schon früh in Polen von den Gräueln der Menschenvernichtung, etwa der gezielten Tötung der polnischen Eliten, zumindest hörte, dann aber auch augenscheinlich mit den willkürlichen und geplanten Gewalttaten konfrontiert war, blieb Hosenfeld - wie die Briefe belegen - lange befangen.
Die glänzenden Kriegserfolge der Anfangsjahren hoben sein nationales Bewusstsein, und die vulgäre Geschichtsmetaphysik, dass Deutschland zur Entscheidung in einem unausweichlichen "Volkstumskampf" mit den Russen herausgefordert wäre, ließ ihn die unmenschlichen Begleiterscheinungen erst einmal hinnehmen. Als das Warschauer Ghetto geräumt wurde, schrieb er, von aller Vorsicht lassend, bedrückt von den Verbrechen, in einem Brief an seine Frau: "Kann sich denn ein Deutscher noch auf der Welt sehen lassen?"
Hosenfeld ist ein genauer Menschen-Beobachter und ein Stilist. Seine Aufzeichnungen und Briefe sind nicht zu überschätzende Zeugnisse von hoher literarischer Qualität, die das Grauen unverstellt und ungeschönt vermitteln. Sie enthalten ergreifende, zugleich surreale Szenen; der Krieg eröffnet Orte und Augenblicke des buchstäblichen Nichts - der Mensch allein, die Zivilisation zerstört, die Seele nur noch vor einem Gegenüber.
November 1944, ein Hund ist Hosenfeld zugelaufen, mit dem er in dunkler Früh sportlich ums Quartier läuft. Der Auslauf endet in einer verwüsteten gotischen Kirche. Unheimlich sei es ihm zuerst gewesen hineinzugehen. Kleider, Betten, Tragbahren, Uniformstücke, Patronen, Waffen liegen herum. Hosenfeld spricht sein Morgengebet. "Ach, wie klein, wie winzig komme ich mir vor, wie dünn ist meine Stimme, aber wie nah ist mir Gott, wie erdrückt bin ich von seiner Größe und seiner Nähe." Gottesnähe im bizarren Ambiente von Verwüstung, Tod und Untergang.
Wilm Hasenfeld: "Ich versuche jeden zu retten". Das Leben eines deutschen Offiziers in Briefen und Tagebüchern. Hrsg. Vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt. DVA,1.194Seiten, 32 Euro.
02./03.10.2004
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