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Bielefelder Tageblatt (OH) / Neue Westfälische , 01.10.2004 :

Gedenktag eingeläutet / Erinnerung an den Luftangriff mit Glocke, Saxophonen, Gottesdienst und Vortrag

Von Thomas Güntter

Bielefeld. Genauso muss das Wetter am 30. September 1944, gestern vor 60 Jahren, gewesen sein. Blauer Himmel, Sonne und ein wenig kühl. Um Punkt 14 Uhr erklang die schwere und tiefe Dreifaltigkeitsglocke vom Turm der Altstädter Nicolaikirche. Vor 60 Jahren begann zu diesem Zeitpunkt der große Luftangriff auf Bielefeld.

Etliche ältere Menschen, die wohl den Luftangriff selbst miterlebt hatten, blieben an der Kirche stehen, lauschten dem Geläut und erinnerten sich. Bei dem Angriff kamen 649 Menschen ums Leben, darunter 127 Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter. 1.300 Menschen erlitten zum Teil schwerste Verletzungen, 10.000 Personen waren obdachlos geworden.

Oben, genau am Umgang des Turmes – das obere Bauteil, die Barockhaube, war von den Bomben bei dem Angriff zerstört worden – ließen die Leptophonics, Andreas Kahling und Andreas Gummersbach, in 42 Meter Höhe Improvisationen auf ihren Saxophonen erklingen. Klangliche Annäherung an etwas Stumm-Machendes.

Pfarrer Armin Piepenbrink-Rademacher hielt den Gedenkgottesdienst, der Chor der Volkshochschule sang. In seinem Vortrag gestern Abend mit dem Titel "Bielefeld im Bombenkrieg" erinnerte der Bielefelder Historiker Dr. Hans-Jörg Kühne an die Gedenkfeier für die Opfer des Angriffs am 30. September 1954. Zehn Jahre nach dem Inferno.

Die ganze Stadt beteiligte sich. Von 14 bis 14.02 Uhr ruhte der gesamte Verkehr, um 14.15 Uhr läuteten die Glocken aller Bielefelder Kirchen. Nicht nur der Toten solle gedacht werden, sondern auch der vielen Menschen, die an Körper und Seele verwundet wurden und deren Narben lange nicht verheilten und zum Teil bis auf den heutigen Tag nicht verheilt seien, sagte Kühne.

Nach einer längeren angriffsfreien Zeit seit Februar 1942, gab es am 11. Januar 1944 einen Angriff, bei dem 113 Menschen starben. Eine latente "Egal-Haltung" nach wiederholten Fehlalarmen habe viele Bielefelder sorglos und nachlässig gemacht.

Um so schockierter waren die Menschen, als am 30. September auf den Voralarm um 12.57 Uhr und den Hauptalarm um 13.49 Uhr tatsächlich Bomben fielen. Kühne spannte einen Bogen von der militärisch-methodischen Bombardierung, den Schicksalen der Opfer, den verzweifelten Rettungsversuchen der Feuerwehren bis zur Trauerfeier am 5. Oktober 1944 auf dem Sennefriedhof, die die Nazis mit hohlen Phrasen am "Kameradengrab" ausschlachteten.


lok-red.bielefeld@neue-westfaelische.de

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