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Deister- und Weserzeitung , 01.10.2004 :

In Hameln getötet – Holländer auf Spurensuche / Nachfahren von NS-Opfern besuchten Ausstellung im Gericht / Auch SPD-Politiker informierten sich

Hameln (koe/mafi). Im Hamelner Zuchthaus sind während der Nazi-Zeit auch viele Menschen aus Nachbarländern inhaftiert gewesen – Dutzende kamen durch Mangelernährung, Seuchen oder direkte Gewalt ums Leben. Familienangehörige des holländischen Opfers Joseph van Megen sind jetzt nach Hameln gereist, um sich hier von Lokalhistoriker Bernhard Gelderblom das Schicksal ihres Verwandten schildern zu lassen. Die von Hay Reintjes geleitete zwölfköpfige Gruppe besichtigte unter anderem die Schau "Das Zuchthaus Hameln in der NS-Zeit".

Der 1916 geborene Lehrer Joseph van Megen war 1944/45 in Hameln gefangenen gehalten worden. Als die US-Truppen sich 1945 der Weser näherten, sollten die Zuchthaus-Insassen – fast alle waren politische Gefangene – der Befreiung durch die Amerikaner entzogen werden. Die von Haft und Hunger geschwächten Männer wurden auf einen Gewaltmarsch zum Lager Holzen bei Eschershausen geschickt. Zwischen Wegensen und Dohnsen konnten van Megen und zwei Kameraden dem Zug nicht mehr folgen: Sie versteckten sich in einem Schuppen, wurden von einem Bauern entdeckt und von SS-Männern erschossen. In Dielmissen fanden zwei weitere Erschöpfte den Tod.

Als die aus Holland angereiste Delegation jetzt die Strecke des Gewaltmarsches abfuhr, machte sie in Bisperode Halt. Zeitzeugen berichteten dort von den Ereignissen von 1945. Für die Bürger galten die Zuchthäusler damals als Kriminelle. Doch trotz Verbots der Kontaktaufnahme reichten manche Anwohner den Gefangenen Wasser und Brot. Der junge van Megen hatte zusammen mit einigen Pfarrern 1943 alliierten Piloten und geflohenen französischen Kriegsgefangenen den Übergang über die Maas ermöglicht und sie für die weitere Flucht mit Proviant versorgt. Er erhielt dafür posthum hohe französische und amerikanische Auszeichnungen. Die Leichen van Megens und eines weiteren Opfers wurden 1946 vom Friedhof Dohnsen nach Holland überführt. Der dritte bei Dohnsen Erschossene ruht nach wie vor auf dem Friedhof des kleinen Ortes. "Ein unbekannter Ausländer" steht auf seinem Grabstein.

Gestern wurde der Sohn des Ex-Gefangenen Rudi Goguel von Gelderblom durch die Ausstellung im Amtsgericht geführt. Auch Thomas Goguel war tief beeindruckt. Sein Vater hatte 1932 wegen KPD-Aktivitäten seine Arbeit in einer Düsseldorfer Maschinenfabrik verloren. Kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde er verhaftet und ins KZ Börgermoor gesteckt. Dort komponierte Goguel das berühmte "Moorsoldaten-Lied" ("Doch für uns gibt es kein Klagen, ewig kann nicht Winter sein. Einmal werden froh wir sagen: Heimat, du bist wieder mein."). 1934 kam er frei, wurde aber im gleichen Jahr erneut festgesetzt und wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach mehreren Stationen erfolgte 1937 die Einlieferung in die Hamelner Anstalt, wo Goguel sieben Jahre unter schrecklichen Bedingungen festgehalten wurde. Nach seiner Entlassung wurde er sofort in "Schutzhaft" genommen und ins KZ gebracht. Goguel überlebte, kandidierte bei der ersten Bundestagswahl für die KPD. 1952 zog er nach Ost-Berlin, wo er 1976 starb.

In dieser Woche waren auch die Stadtrats- und die Kreistagsfraktion der SPD zu Gast bei Gelderblom. Die Nazis hatten in Hameln auch zahlreiche Sozialdemokraten eingesperrt. Von ihnen überlebten ebenfalls viele die unsäglichen Haftbedingungen im Zuchthaus an der Weser nicht. Von 1939 bis 1945 wurden insgesamt 305 Todesfälle offiziell registriert.

Die Ausstellung im ersten Stock des Amtsgerichtes ist wegen der großen Nachfrage vor allem aus den Schulen um eine Woche verlängert worden. Sie läuft bis zum 14. Oktober montags bis donnerstags von 8 bis 16 Uhr, freitags bis 13 Uhr; Führungen donnerstags um 15.30 Uhr und nach Anmeldung (05151/61839).


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