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Der Patriot - Lippstädter Zeitung , 30.09.2004 :

"Man wunderte sich nur, dass man noch lebte" / Die Holocaust-Überlebende Celine van der Hoek de Vries schilderte bei einem Zeitzeugengespräch ihre erschütternden Erlebnisse in der NS-Zeit

Lippstadt. "Als ich von Josef Mengele, dem KZ-Arzt, gemustert wurde und der meine von der Zugfahrt noch beschlagene Brille sah, fragte er, ob ich denn auch gut sehen könnte. Ich habe ihn in dem Moment nicht richtig verstanden, aber ja gesagt, weil ich ein positiver Mensch bin." Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese Aussage, zumindest aber dieser Optimismus Celine van der Hoek de Vries im Konzentrationslager Auschwitz das Leben rettete.

Die oben geschilderte Begebenheit war nur eine von vielen erschütternden Erlebnissen, die die heute 84-jährige Holocaust-Überlebende im Rahmen eines Zeitzeugengesprächs mit anschließender Diskussion am Dienstagabend im Rathaussaal schilderte. Die Junge Linke Lippstadt und das Netzwerk gegen Hass und Gewalt hatten das "Zeitzeugengespräch gegen das Vergessen" organisiert.

"Ich freue mich, dass es hier so viele neugierige Menschen gibt", begann die 1,43 Meter kleine Holländerin - mit 130 Personen platzte der Rathaussaal aus allen Nähten. "Ich bin im übrigen nicht hier, um Gräuelgeschichten zu erzählen", erklärte die zierliche 84-Jährige. Dennoch blieb es nicht aus, dass die eindringlichen Schilderungen der Holländerin die meisten der Zuhörer sehr betroffen machten.

"Als meine Mutter und mein Bruder verhaftet wurden, weil sie eben Juden waren, war ich nicht zu Hause", erzählte Celine van der Hoek de Vries. Einem holländischem Polizisten verdankte sie es, dass sie den Häschern entkommen und untertauchen konnte. Auf diese Mitmenschlichkeit traf sie jedoch nicht überall. "Zweimal wurde ich verraten." Sie konnte zwar mehrmals knapp entkommen, schließlich wurde sie aber doch verhaftet und in ein holländisches Übergangslager gebracht.

Der 6. September 1944 war dann ein Datum, das sie nie vergessen wird. "Eigentlich kann ich das auch heute nicht verstehen", sagte die 84-Jährige über diesen für sie so schicksalshaften Tag, an dem sie mit dem Zug ins Konzentrationslager Auschwitz gebracht wurde. "80 Menschen waren zwei Tage lang in einem Waggon eingepfercht." Im Nachhinein sei es für sie immer noch unverständlich, dass sie diese Fahrt überlebt habe, so die Holocaust-Überlebende.

Dann die Begegnung mit Josef Mengele: Die Selektion des KZ-Arztes bedeutete für viele den Tod. Nicht für die damals 24-Jährige Holländerin. "Ich habe Glück gehabt." Das Leben im Lager sei fürchterlich gewesen. "Man fand es ganz normal, wenn einer umfiel und tot war und wunderte sich nur, dass man selbst noch lebte."

Gerade einmal 24 Kilo wog sie bei der Befreiung durch die Rote Armee. "Ich war zu kaputt, um mich zu freuen. Wenn der Krieg eine Woche länger gedauert hätte, wäre ich wohl gestorben", schloss Celine van der Hoek de Vries.


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