Paderborner Kreiszeitung / Neue Westfälische ,
25.09.2004 :
340 kirchliche Zwangsarbeiter / Arbeitsgruppe des Erzbistums legt Abschlussbericht vor / Der "Anstoß" kam 2000 durch einen NW-Bericht
Von Wolfgang Stüken
Paderborn. "Als wir anfingen, hatten wir eigentlich nur vier Namen", erinnerte Peter Möhring an den "Anstoß" dieser Forschung durch den NW-Bericht "Zwangsarbeit für die Kirche" vom 22. April 2000. Eine Zeitzeugin schilderte darin den Einsatz von Zwangsarbeitern im Paderborner Leokonvikt und im Priesterseminar während der NS-Zeit. In vierjähriger Recherche hat eine Arbeitsgruppe die Zahl von 336 weiteren kirchlichen Zwangsarbeitern im Erzbistum ermittelt.
Die Bischofsstadt Paderborn war bistumsweit einer der Haupteinsatzorte: Für die heutige Kernstadt sind 95 kirchliche Zwangsarbeiter nachzuweisen. Sie waren zwischen 1939 und 1945 in der Landwirtschaft des Priesterseminars, des Leokonvikts, im Vincenz-Krankenhaus und zwei zum Hospital gehörenden Ökonomien, im damaligen Herz-Jesu-Krankenhaus, im Erzbischöflichen Waisenhaus, im Josefs-Krankenhaus und im Mutterhaus der Schwestern der Christlichen Liebe tätig – zumeist auf Antrag dieser Einrichtungen durch das Arbeitsamt zugeteilt.
Die im Sommer 2000 vom damaligen Erzbischof Johannes Joachim Degenhardt eingesetzte Arbeitsgruppe legte gestern ihren Abschlussbericht vor. Der Großteil der 340 kirchlichen Zwangsarbeiter waren Zivilpersonen (332), die häufig in Razzien aus ihrer Heimat verschleppt worden waren, ferner Kriegsgefangene und ehemalige Kriegsgefangene. 326 Frauen und Männer wurden der mit der Auszahlung beauftragten Caritas in München als ,,entschädigungsberechtigt" gemeldet. Allerdings haben bis heute erst 27 von ihnen – in vier Fällen die Erben – je 2.500 Euro aus dem Entschädigungsfonds erhalten, den die Deutsche Bischofskonferenz im Jahr 2000 gebildet hat. Bundesweit sind aus diesem Fonds bisher 559 Entschädigungen bewilligt worden. Aus dem parallel von den Bischöfen beschlossenen, ebenfalls mit 2,5 Millionen Euro ausgestatteten Fonds für Friedens- und Versöhnungsarbeit wurden nach Angaben von Professor Ulrich Wagener, Vorsitzender der diözesanen Kommission für kirchliche Zeitgeschichte, inzwischen acht Projekte im Erzbistum gefördert. Wagener ist wie Möhring Mitglied der Arbeitsgruppe Zwangsarbeit. Ihr Bericht soll 2005 in eine Gesamtdokumentation für die 27 deutschen Diözesen einfließen. Für das Erzbistum ist ferner eine eigene Schrift mit ergänzenden Informationen zum Zwangsarbeitereinsatz geplant.
Generalvikar Manfred Grothe nannte die Forschungsarbeit "äußerst erfolgreich". Die Arbeitsgruppe habe "unerlässliche historische Grundlagenarbeit" geleistet. Ulrich Wagener schilderte, wie schwierig sie war; denn viele Akten sind vernichtet oder verloren.
Eine der Zwangsarbeiterinnen im Brüderkrankenhaus war die 1921 geborene Jelena Drosdowa. Ihr 1944 in Nieheim geborener Sohn Michail starb mit neun Monaten. An die Adresse der in der Ukraine lebenden betagten Frau kam Peter Möhring 2003 – ebenfalls durch einen NW-Bericht: Jene Jelena Drosdowa nahm im Mai 2003 an der Begegnung mit ehemaligen Paderborner Zwangsarbeitern in der Ukraine teil, zu der Bürgermeister Heinz Paus eingeladen hatte. Beim kirchlichen Fonds ging sie allerdings leer aus: Da sie auch bei Möbel Welle gearbeitet hatte, war sie schon aus der staatlichen Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" entschädigt worden.
25./26.09.2004
lok-red.paderborn@neue-westfaelische.de
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