Bielefelder Tageblatt (OH) / Neue Westfälische ,
22.09.2004 :
"Sicherste Stadt, das ist Fakt" / Das Interview: Uwe Flöß, Leitender Polizeidirektor und ranghöchster Bielefelder Polizist
Bielefeld. Uwe Flöß (50) ist seit dem 1. September ranghöchster von etwa 1.000 Polizisten in Bielefeld. Als Nachfolger des unlängst pensionierten Heinz Haubrock leitet er die Abteilung "Gefahrenabwehr und Strafverfolgung". Conrad Schormann sprach mit dem Leitenden Polizeidirektor über die Falschgeldschwemme, den Überstundenberg, die sicherste Großstadt Deutschlands und andere Gaunereien.
Neue Westfälische: Zwei Tage im neuen Job. Was haben Sie verändert?
Uwe Flöß: Natürlich noch nichts. Es wird ohnehin keine Revolution geben. Wir haben hier als Team in der Vergangenheit gute Arbeit geleistet, und ich sehe keinen Grund, den Kurs zu wechseln. Begonnenes wird fortgeführt, nach und nach werden neue Ideen einfließen.
NW: Sie leiten eine Polizei, die im Fokus steht – auch politisch – , und Sie lösen einen Mann ab, auf den Hymnen gesungen worden sind. Fühlen Sie sich unter Druck?
Flöß: Der herausragende Polizeiführer Heinz Haubrock ist zu Recht mit allen Ehren in den Ruhestand verabschiedet worden. Jetzt freue ich mich auf die Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern, mit dem Polizeipräsidenten, der Stadt, der Staatsanwaltschaft, dem Sozial- und Kriminalpräventiven Rat. Polizeiintern und bei der Zusammenarbeit mit anderen geht es darum, die erfolgreiche Arbeit weiterzuführen – im Team. Ich hatte ja schon einmal Gelegenheit, die Abteilung Gefahrenabwehr und Strafverfolgung zu leiten. Daher weiß ich, was mich erwartet, und fühle mich nicht unter Druck.
NW: Bei der Bielefelder Polizei hat sich zuletzt einiges verändert. In den Beginn Ihrer Dienstzeit fällt die Aufgabe, diese Veränderungen zu bewerten, zum Beispiel die Reform der Kriminalpolizei. Ist die Kripo jetzt besser als vorher?
Flöß: Es gibt Anzeichen, aber seriös können wir das erst beurteilen, wenn im Herbst die so genannte Evaluation beendet ist. Einiges haben wir zentralisiert, etwa die Bearbeitung von Einbrüchen oder die Tatortaufnahme. Deren Qualität steigt, das zeigen die Spuren, die wir an Tatorten sichern.
NW: Das Kommissariat für Kapitaldelikte bearbeitet jetzt auch Sexualdelikte. Kritiker schreckte die Vorstellung, dass Mordermittler Opfer von Vergewaltigungen vernehmen.
Flöß: Das ehemalige KK12 ("Die Sitte", d. Red.) war sehr klein, mit sieben bis acht Mitarbeitern an der Grenze der Lebensfähigkeit. Wir haben die Kommissariate zusammengelegt. Speziell im Bereich der Sexualdelikte können sich jetzt mehr Sachbearbeiter um einen Fall kümmern. Ich sehe hier Vorteile durch die neue Struktur, aber wie gesagt: Wir müssen die Evaluation abwarten.
NW: Polizisten in NRW arbeiten seit neuestem 41 Stunden pro Woche, 2,5 Stunden mehr als bisher. Wie verwenden Sie die Mehrstunden?
Flöß: Polizisten arbeiten jetzt mehr fürs gleiche Geld, was einer Lohnkürzung gleichkommt. Wir müssen die Motivationsdelle, die daraus entstanden ist, in Grenzen halten. Aus dienstlicher Sicht stehen mehr Personalstunden für den Dienst zur Verfügung. Ein Kommissariat mit 20 Mitarbeitern hat jetzt rechnerisch mehr als einen Mitarbeiter gewonnen. Selbiges gilt für den Wachdienst. Ein Nachteil ist, dass wir wegen der Mehrstunden in den nächsten Jahren weniger Nachwuchs einstellen.
NW: Auf den Fluren Ihrer Behörde beklagen die Beamten jetzt schon Überstundenberge.
Flöß: Ein Mittel dagegen wäre, mehr Mitarbeiter einzustellen. Leider liegt es nicht in der Hand der Behörde, solche Entscheidungen zu treffen, das passiert auf Landesebene und im politischen Raum. Darum müssen wir versuchen, unsere Arbeitsabläufe noch effektiver zu machen, damit wir mit dem knappen Personal unsere Aufgaben bestmöglich erfüllen.
NW: Auf welchen Feldern der Kriminalität tummeln sich Ganoven derzeit vor allem?
Flöß: EC-Kartenbetrug ist nach wie vor ein Problem. Kriminelle stehlen eine EC-Karte und gehen damit einkaufen, teilweise 40-, 50-mal, weil viele Einzelhandelsunternehmen das Lastschriftverfahren ohne Geheimzahl praktizieren. Wir dämmen das Problem ein, aber es ist sehr mühsam. Auch im Internet sind Kriminelle unterwegs, die über ebay oder andere Plattformen auf unterschiedlichste Weise Leute über den Tisch ziehen. Falschgeld ist ein dritter Schwerpunkt. Mehr als doppelt so viel Falschgeld wie im Vorjahr ist im Umlauf, vor allem 50- und 100-Euro-Scheine. Werkstätten insbesondere in Osteuropa stellen so gute Blüten her, dass sie häufig erst erkannt werden, nachdem die Bank sie angenommen hat. Wir planen, die Bevölkerung aufzuklären, woran Blüten zu erkennen sind. UV-Licht hilft heutzutage kaum noch.
NW: Dass bald annähernd perfekte Blüten aus Osteuropa kommen, stand vor zwei Jahren in der NW. Die Falschgeldschwemme kann Sie nicht überrascht haben.
Flöß: Aber die Bielefelder Polizei ist nicht dafür zuständig, sicheres Geld zu drucken. Wir müssen mit den Folgen leben und stellen fest, dass der ursprünglich als fälschungssicher bezeichnete Euro überhaupt nicht fälschungssicher ist. Ich hoffe, dass bald neue Scheine neue Fälschungsmerkmale tragen. Das würde uns die Arbeit erleichtern.
NW: "Bielefeld, die sicherste deutsche Großstadt" – auch Sie haben diese Statistik zitiert. Bielefeld ist vor allem die ländlichste deutsche Großstadt, und auf dem Land passieren weniger Straftaten. Macht die Geografie Bielefeld zur sichersten Stadt oder die Polizei?
Flöß: Sicherste deutsche Großstadt, das ist erstmal ein Fakt. Im Vergleich zu anderen Großstädten passieren bei uns pro 100.000 Einwohner die wenigsten Straftaten. In Bielefeld ist die Wahrscheinlichkeit am geringsten, Opfer einer Straftat zu werden ...
NW: ... in Ubbedissen oder Großdornberg. Aber im Zentrum?
Flöß: Ich glaube schon, dass es auch da qualitative Unterschiede gibt – es ist etwas anderes, ob ich in Frankfurt durch die City, in Köln über die Domplatte oder in Bielefeld durch die Bahnhofstraße gehe. Natürlich ist die gute Statistik auch strukturbedingt. Die Region ist ländlich, die Menschen bodenständig. Aber die Statistik ist ein Indikator für die Sicherheit. Ich finde es sinnvoll, darauf zu achten.
NW: Worauf noch?
Flöß: Die Bielefelder haben laut unserer Bürgerbefragung mehr Angst, Opfer eines Verkehrsunfalls zu werden als Opfer eines Kriminaldelikts. Wie bisher werden wir sehr auf Verkehrsdisziplin achten. Vor allem in der Nähe von Kindergärten und Schulen wollen wir verstärkt Schwerpunkteinsätze fahren, Geschwindigkeiten messen und kontrollieren.
NW: Und in den nächsten Wochen?
Flöß: Mit Beginn der dunklen Jahreszeit prüfen wir die Beleuchtung von Autos und Zweirädern. Und wir rechnen wieder mit mehr Einbrüchen, wenn es früher dunkel wird. Wir werden uns darauf einstellen, da will ich einen Schwerpunkt setzen. Wie wir den Einbrechern das Leben schwer machen werden, kann ich jetzt nicht erzählen. Dann lesen die das, und unsere Taktik funktioniert nicht mehr.
Zur Person: Uwe Flöß
Physik und Chemie studierte Uwe Flöß vor 30 Jahren, um Lehrer zu werden. Die damalige "Lehrerschwemme" ließ Flöß umdenken. 1976 fing er als Seiteneinsteiger bei der Kriminalpolizei an. Als junger Ermittler in Lippe und Bielefeld leitete er erste Mordkommissionen, 1988 wurde Flöß Kriminalrat und ging zum Landeskriminalamt – Spezialgebiet: Geiselnahmen.
Sechs Wochen nach dem Amtsantritt erschütterte das Gladbecker Geiseldrama die Medienrepublik Deutschland. "Ich war der Lehrling", sagt Flöß über seine dienstliche Rolle während des Dramas. 1995 wurde Flöß Vizechef der Polizeischule "Erich Klausener" in Stukenbrock, 1998 stieg er zum Schulleiter auf. 2001 kam er als neuer Leiter der Kriminalpolizei zum Polizeipräsidium Bielefeld. Seit dem 1. September ist er als "Leiter Gefahrenabwehr und Strafverfolgung" Bielefelds höchster Polizist.
lok-red.bielefeld@neue-westfaelische.de
|