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Herforder Kreisanzeiger / Neue Westfälische , 20.09.2004 :

Gelebte und erlittene Geschichte der SPD / Herzliche Ehrung für Erika Dalley, seit sieben Jahrzehnten aktive Genossin

Von Hartmut Brandtmann

Herford. Für Erika Dalley ist "Brüder zur Sonne zur Freiheit" ein lebendiges Lied: Sieben Jahrzehnte lang hat die gebürtige Danzigerin sozialdemokratische Geschichte erlebt und erlitten. In ihrer neuen Heimat, Herford, setzte sie Akzente für die Seniorenarbeit.

Vom Vater Gustav Neubaum geprägt, schloss sie sich als 13-Jährige der Arbeiterjugend an. Erika muss ein energisches Mädchen mit langem Atem gewesen sein. Im Spielmannszug blies sie die Trompete. Einen langen Atem brauchte sie auch für das was, 1933 über Danzig hereinbrach. In der Zeit, als Sozialdemokraten von den Nazis verfolgt wurden, trat sie der Partei bei. Es war der 16. September 1934, ihr 17. Geburtstag. Zwei Jahre später wurde die SPD verboten, und die Gruppe, der auch Erika angehörte, traf sich heimlich in der Gärtnerei eines jüdischen Sozialdemokraten. Dort wurde gesungen, diskutiert und Flugblätter gedruckt. Die alte Dame erinnert sich noch an manchen jugendlichen Leichtsinn: "Spät abends, nach dem einen oder anderen Bierchen, zogen wir durch die Straßen und pfiffen provokant unser Kampflied: Brüder zur Sonne zur Freiheit."

Bedrohlich wurde es, als ein zur NSDAP übergelaufener Genosse die Gruppe verriet. Wenig später wurde ihr Mann von der Straße weg verhaftet. Ein Polizist überbrachte ihr die Nachricht mit den Worten: "Du rote Sau wirst deinen roten Mann nicht wieder sehen." Dann wurde die Wohnung auf perfide Weise durchsucht. Erika konnte beobachten, wie der Polizist versuchte, eine Waffe aus seinem Ärmel als "Beweismittel" in ihren Wäscheschrank zu schieben. "Woher ich den Mut nahm, laut zu protestieren, weiß ich bis heute nicht." Ihr Mann kam vier Tage später aus der Haft zurück, völlig zerschlagen. Wie viele Sozialdemokraten wurde er gleich nach Kriegsausbruch zur Wehrmacht eingezogen.

Nach dem Krieg ging die Leidenszeit weiter. Polen ließ die Deutschen für sich arbeiten. Und Erika Dalley musste ab 4 Uhr früh Eisen schleppen, bei Schwarzbrot und Wassersuppe.

Der 19. Juli 1945 war ein Wendepunkt in der leidvollen Biographie. Das "Komité der Sozialdemokratischen Partei der ehemaligen Freien Stadt Danzig" bescheinigte ihr, dass sie in der Nazi-Zeit den "sozialistischen Grundsätzen" treu geblieben ist. Dieses Schreiben war wie ein Freischein für die Ausreise und später für Wohnung und Arbeit.

Auf abenteuerliche und entbehrungsreiche Weise kam sie nach Lübeck, wohin ihr Mann aus der Gefangenschaft entlassen worden war. Als wunderbar bezeichnet sie die Begegnung mit der Mutter und dem Bruder von Willy Brandt, Günter Kuhlmann. Er veranlasste sie zur Mitgliedschaft in der Gewerkschaft Textil, Bekleidung. Genossen vermittelten ihr auch eine Stellung in der Kreditabteilung eines Kaufhauses, alsbald war sie auch Betriebsrätin.

Sohn Dietrich war unterdessen in Herford heimisch geworden. Dort begann auch für Erika Dalley eine neue, ungebrochen aktive Zeit. Sie war maßgeblich beteiligt, als der Altenhilfeplan ins Werk gesetzt und dem Haus Unter den Linden Struktur gegeben wurde. Die Seniorenwohnanlage an der Hermannstraße hat sie betreut, und im Seniorenbeirat mitdiskutiert. "Entschieden, entschlossen, energisch", charakterisiert sie voll herzlicher Anerkennung (nicht nur) der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Spanier.


lok-red.herford@neue-westfaelische.de

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