Deister- und Weserzeitung ,
17.09.2004 :
Das vergessene Lesezeichen brachte ihn ins Zuchthaus / Worpsweder Maler Bernhard Huys überlebte Hamelner Haftzeit nur mit Glück / Sohn besuchte Ausstellung im Amtsgericht
Von Marc Fisser
Hameln. An dieses Bild erinnert sich Till Huys (72), als sei es gestern gewesen: Vor ihrer Kate in Worpswede hielt Mitte Mai 1945 ein Jeep der US-Armee. Ein abgemagerter Mann stieg aus – der Vater! "Die Wiedersehensfreude war riesig", erzählt Huys. Die Familie hatte zwei Jahre um das Leben von Bernhard Huys gebangt, musste sich ohne den Ernährer durch die beiden letzten schweren Kriegsjahre schlagen. Der Landschaftsmaler kehrte endlich heim aus dem Zuchthaus Hameln. Das, was er in der Weserstadt an Unrecht und Gräuel erlebt hatte, begleitete ihn bis zum Tode 1973, ist teils auch in seinem künstlerischen Werk ablesbar. "Meine Schwester und ich hatten während der Haftzeit nach dem Vater gefragt. Doch unsere Mutter verharmloste uns gegenüber natürlich die Situation", erzählt Till Huys. Der Worpsweder besuchte jetzt die Ausstellung und den Vortrag "Das Zuchthaus Hameln in der NS-Zeit". Sein Vater war kein Krimineller – das gilt für die meisten, die während der Nazi-Diktatur in Hameln eingesperrt wurden.
Der Hamelner Historiker Bernhard Gelderblom führte Till Huys durch die Schau, in der das Schicksal von Bernhard Huys beispielhaft für die Gruppe der so genannten Kriegstäter steht. Das waren Menschen, die zum Beispiel wegen Kontaktes zu Kriegsgefangenen oder Schwarzschlachtens drastische Strafen erhielten und unter unsäglichen Bedingungen in den Kerkern vegetierten. Hunderte starben. "Die Gesamtzahl der Häftlinge, die Hameln in der Zeit des Dritten Reiches durchlaufen haben, dürfte bei 10.000 liegen", berichtet Gelderblom. Bis 1939 waren 80 Prozent der Insassen "politische" Gefangene: vor allem Kommunisten und SPD-Mitglieder. Nach Kriegsbeginn war fast jeder zweite Inhaftierte ein "Kriegstäter".
Bernhard Huys war wegen "Abhörens eines Feindsenders" vom Sondergericht in Hannover zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Als Beweismittel gegen den "Staatsfeind" diente ein Zettel, auf dem Huys notiert hatte: "Eicke gefallen, früher Kommandant von Dachau / Hamm Bahnhöfe zerstört, Rotterdam Werften zerstört / ( ... ) Himmler ist Sadist nicht aus Perversität, sondern aus Überzeugung. ( ... )"
Dieses als Lesezeichen verwendete Papier hatte Huys in einem Buch vergessen, das einem Bekannten gehörte. Dessen Ehefrau ging zur Gestapo. Die Geheimpolizei lud Huys vor, machte eine Hausdurchsuchung. Nur durch Glück stieß sie nicht auf weiteres belastendes Material – und Huys kam an der Todesstrafe vorbei. Die Haftbedingungen im Hamelner Zuchthaus bedeuteten allerdings für viele Verurteilte nichts anderes als den Tod. Ab Herbst 1944 eskalierte dort die Situation. An den Folgen von Hunger, Schwerstarbeit, unzureichender Kleidung und mangelnder medizinischer Versorgung starben in der Anstalt nach Unterlagen des Standesamtes in den ersten fünf Monaten des letzten Kriegsjahres 172 Menschen. Von 1939 bis 1945 wurden insgesamt 305 Todesfälle registriert; die tatsächliche Zahl liegt laut Gelderblom deutlich höher.
Der Niederländer Antoon Vermeeren – wegen Verbreitung einer Untergrundzeitung zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt – schildert, wie er in Hameln ankam: "Wir geraten jetzt unter die Preußen und erfuhren dies schon bei unserem Fußmarsch vom Bahnhof zum Zuchthaus, als die Bürger auf uns spuckten." Über die Zustände hinter den Gefängnismauern schreibt er: "Aus einem Zuchthaus mit einer den Umständen nach guten Versorgung kam ich nach Hameln in ein Durcheinander, eine Sauwirtschaft. ( ... ) Läuse und Flöhe gab es massenhaft." Dennoch: "Hameln" gilt bei den Insassen als vergleichsweise "human". Rund 80 Aufseher hatte das Zuchthaus. Häftling Rudi Goguel erklärt: Die Versuche von Anstaltleiter und SS-Mann Siegfried Stöhr, "aus Hameln eine SS-Musteranstalt zu machen, bleiben irgendwie stecken".
Gelderblom betont: "Welchen Spielraum Personal und Leitung hatten, das Los der Häftlinge zu verbessern und welche Verantwortung sie für die schrecklichen Zustände gegen Kriegsende tragen, lässt sich noch nicht beurteilen." Für den Historiker ist es jedoch wichtig, dass die Hamelner die Opfer nicht vergessen.
Till Huys war bewegt von den Ausführungen des Forschers. Bald wird Gelderblom die Familie des von der SS erschossenen Häftlings Joseph van Megen zum Ort des Zuchthauses führen. Dort finden die Hinterbliebenen ein Hotel und eine Sporthalle – aber kein Zeichen des Gedenkens.
Ausstellung: Führung donnerstags um 15.30 Uhr und nach Anmeldung (05151 / 61839). Geöffnet bis 8. Oktober montags bis donnerstags 8 bis 16, freitags bis 13 Uhr; 1. Obergeschoss des Amtsgerichts.
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