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Paderborner Kreiszeitung / Neue Westfälische , 15.09.2004 :

Ein Junge aus Westfalen / Paul Spiegel erklärt in "Padaboan", warum Juden heute nicht Fußball spielen wollen

Von Hans-Hermann Igges

Paderborn. Zweimal sagt er das Zauberwort, mit dem er die Herzen der Paderborner nimmt - wenn sie ihm nicht sowieso schon weit offen gestanden haben: "Padaboan". Mit langem "o" und ohne "r". Einmal am Anfang, dann wieder zum Abschied vor 600 Zuhörern im "Schützenhof", am Montagabend. So "sacht" man es in Westfalen. Und so kann auch Paul Spiegel (65) sprechen, der Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, gebürtig aus Warendorf.

Der Sohn eines Viehhändlers hat also den richtigen "Stallgeruch" in "Padaboan". Der in Düsseldorf lebende Chef einer Konzertagentur ist hier Westfale unter Westfalen. "Die Aussprache, die geht nich' mehr weg", sagt er - und bekommt warmen Applaus dafür.

Der Vorsitzende Jude hat ein viel beachtetes und inzwischen 65.000 Mal verkauftes Buch geschrieben: "Was ist koscher?" Darin erklärt er, was jüdischer Glaube und jüdisches Leben sind. "Längst nicht alles" weiß er und gibt es auch zu. Immerhin: So eine Art "Judentum für Einsteiger" hat er da formuliert. Um Interessierten jüdische Eigenarten näher zu bringen, Vorurteile abbauen zu helfen, toleranten Umgang miteinander zu fördern. Auf Einladung von Bürgermeister, Weiterbildungskolleg der Abendrealschule und der Buchhandlung Linnemann liest Spiegel daraus am Montagabend.

Eine dreiviertel Stunde lang. Es geht darum, wer Jude und was "koscher" ist, warum Juden am "Schabatt" nicht arbeiten und nicht an Jesus als den Erlöser glauben - einige wenige Kapitel des Buches. Dann wird es richtig spannend, geht es um die blutige Realität des israelisch-palästinensischen Konfliktes. "Manchmal fühle ich mich in solchen Debatten schon wie ein stellvertretender Botschafter Israels", seufzt Spiegel irgendwann und bekennt am Ende: "Wir (Juden in Deutschland) wollen einfach nur in Ruhe gelassen und nicht ständig im Mittelpunkt stehen."

"Mein Herz schlägt in erster Linie für meine Frau"

Wem denn seine größere Loyalität gelte, Deutschland oder Israel, wird Spiegel gefragt: "Mein Herz schlägt in erster Linie für meine Frau und meine beiden Töchter - und dann kommt lange nichts," antwortet er in der Art des ehemaligen Bundespräsidenten Gustav Heinemann, der auf die Frage, ob er sein Vaterland "liebe" einmal Ähnliches sagte. Und schiebt dann nach: "Es geht, dass man loyaler Staatsbürger eines Landes ist, aber eine besondere Affinität zu Israel hegt."

Der Staat Israel sei nämlich für Juden so etwas wie eine Lebensversicherung. "Israel wird es nicht zulassen, dass Juden irgendwo in der Welt bedroht werden", so Spiegel. Die umstrittene Äußerung von Ministerpräsident Ariel Sharon, der die französischen Juden kürzlich aufforderte, nach Israel auszuwandern, sei denn auch dadurch zu erklären, dass ein israelischer Ministerpräsident sich nun einmal für das Wohlergehen aller Juden verantwortlich fühle.

Dabei sei Kritik an israelischer Politik natürlich erlaubt. Nur nicht auf der Basis eines Vergleichs mit dem Holocaust an den Juden. Zu Anfang der Diskussion brüskiert ein Schüler den Zentralratsvorsitzenden nämlich: "Herr Spiegel, Sie meckern über sechs Millionen Tote und so. Machen die Israelis nicht dasselbe mit den Palästinensern?" Spiegel fasst sich nach einigen Schrecksekunden, in denen ihm die Fassungslosigkeit über so viel Naivität und provokante Dummheit, die in einer solchen Frage auch liegen, anzumerken ist, und er verweist auf die große Friedensbewegung in Israel selbst.

Mit mehr Verständnis begegnet Paul Spiegel einem Paderborner Palästinenser, dessen Familie nach eigenen Worten von Israelis vertrieben wurde. Ein generelles Rückkehrrecht für alle bis zu 4,5 Millionen Palästinenser in ihre Heimat sei aber das faktische Ende des Staates Israel mit heute fünf Millionen Einwohnern. So wie Deutsche aus den Ostgebieten nach 1945 als Vertriebene hier zu Lande integriert worden seien, hätten auch die Palästinenser in den arabischen Nachbarländern integriert werden müssen.

Stattdessen lebten sie Jahrzehnte lang in schmutzigen Lagern - als "politisches Faustpfand" der Israel-Gegner. Grundsätzlich gebe es keinen Zweifel daran, dass die Palästinenser einen eigenen Staat bräuchten, "aber nicht auf Kosten der Sicherheit Israels". Insofern seien auch der Zaun bzw. die Mauer, die derzeit zwischen Israel und den Palästinenser-Gebieten gebaut werden, ein nützliches Instrument, um Terroranschläge zu verhindern. Spiegel: "Wenn das nicht mehr nötig ist, kann man es ja wieder abreißen."

Der Abend hatte aber nicht nur ernste Züge: Drei (Juden-)Witze erzählte Spiegel, einen Bürgermeister Paus. Und man erfuhr, warum Paul Spiegel die Entscheidung des internationalen Fußball-Verbandes UEFA, das für heute Abend angesetzte Spiel der Münchener Bayern in Tel Aviv nicht zu verlegen, "eine Frechheit" findet: Weil nämlich am heutigen Mittwoch Abend das jüdische Neujahrsfest beginnt.

Spiegel: "Das ist Juden noch heiliger als der Schabbatt." So ungefähr, als setzte man das Rückspiel für Heiligabend an.


lok-red.paderborn@neue-westfaelische.de

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