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Deister- und Weserzeitung , 11.09.2004 :

Schwarzarbeiter im Visier: "Früher oder später kriegen wir jeden ... " / Sozialbetrügern auf der Spur: Mit Zollfahndern im Einsatz

Von Ulrich Behmann

Hameln-Pyrmont. "Dass Sie heute zu mir kommen werden, das weiß ich schon seit einer Stunde", sagt der Hamelner Gastwirt triumphierend, als grün-schwarz uniformierte, mit 9-Millimeter-Pistolen und Pfefferspray bewaffnete Zollbeamte am frühen Nachmittag sein gut gefülltes Lokal betreten. "Wir Gastronomen halten hier nämlich alle zusammen."

Zollamtsrat Lothar Weidig (61), Leiter einer Spezialtruppe für Prävention des Hauptzollamtes Braunschweig, die Schwarzarbeit bekämpfen soll, lächelt freundlich und winkt ab. "Damit kann ich leben."

Zwei Fahnder überwachen die Ein- und Ausgänge, drei weitere überprüfen in der Küche und an der Theke die Ausweise des Personals. "Alles okay", meldet Andreas Scholz (35), Verwaltungsangestellter beim Zollamt Hildesheim, nach der nur achtminütigen Kontrolle. So schnell wie die Frauen und Männer der FKS – steht für Finanzkontrolle Schwarzarbeit – gekommen sind, so schnell sind sie auch wieder verschwunden.

Die Fahnder sind im Stress. Zwei Baustellen in Bad Pyrmont, eine Wohnung in Hameln und 19 Gaststätten im gesamten Landkreis sollen an diesem sonnigen Freitag unter die Lupe genommen werden. Um 6 Uhr haben die 15 FKS-Leute in Braunschweig und Hildesheim ihren Dienst angetreten. Um 10 Uhr trafen sie sich auf dem Edeka-Parkplatz an der Thaler Landstraße in Bad Pyrmont zur Lagebesprechung. Erst um 18 Uhr werden die Ermittler wieder in ihren Dienststellen sein.

Prüfobjekt Nummer 13 ist ein China-Restaurant: Grünweiße Streifenwagen an deren Türen silberfarbene Bundesadler kleben, rollen auf den Bürgersteig, sechs Kontrolleure springen heraus und eilen in die Küche. Vorbei an verdutzten Gästen und Kellnerinnen. Ein Mann aus Ceylon zaubert an einem Wok chinesische Gerichte. Panierter Fisch, Frühlingsrollen, Pommes – alles wird in demselben Fett gebrutzelt. Auf dem Fußboden, gleich neben einem kleinen Gulli und hinter der Geschirrspülmaschine, stehen zwei offene Plastikkisten mit gesalzenen und gepfefferten Enten. Amtsrat Lothar Weidig kann sich beim Anblick der ausgenommenen und gerupften Vögel nicht vorstellen, dass das mit den deutschen Hygienebestimmungen in Einklang zu bringen ist. Aber der Zoll ist nicht die Lebensmittelüberwachung. Weidig wird trotzdem beim Landkreis Hameln-Pyrmont Meldung machen.

Die Überprüfung der Dokumente (Personal- und Sozialversicherungsausweis sowie bei Ausländern Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis) gestaltet sich recht schwierig. Es gibt Sprachprobleme. Ein Chinese gibt an, vergessen zu haben, wo er seit zwei Jahren wohnt. Mit Hilfe einer Einwohnermelde-Abfrage bei der Polizei gelingt es Andreas Scholz, den Mann zu identifizieren.

Was das Team vom Zoll bei all dem Tohuwabohu nicht mitbekommt: Während in der Küche Menschen aus drei Nationen überprüft werden, schleicht sich eine der drei Kellnerinnen davon.

Dass Schwarzarbeiter und illegale Einwanderer die Biege machen, ist an der Tagesordnung. "Fast immer ist es aber das Küchenpersonal, das die Beine in die Hand nimmt", sagt Weidig.

Der Job bei der FKS ist interessant und abwechslungsreich, aber nicht ungefährlich. Das weiß Sylvia Beutel (30) aus eigener Erfahrung. Beim Versuch, einen Flüchtigen über ein Dach zu verfolgen, ist die Zollsekretärin am 23. Juli in Hameln vier Meter in die Tiefe gestürzt. Die Fahnderin hatte noch Glück im Unglück – sie kam mit schweren Prellungen davon. Fünf Wochen war sie allerdings dienstunfähig. "Der Vorfall hat sich in einem anderen China-Restaurant ereignet – bei einer Routinekontrolle", erzählt die rothaarige Vollzugsbeamtin. "Wir wollten einen Mann, der keine Papiere vorzeigen konnte, zur Polizei bringen, um ihn dort anhand seiner Fingerabdrücke identifizieren zu lassen." Der Chinese suchte sein Heil in der Flucht – und Sylvia Beutels Verfolgungsjagd endete im Krankenhaus.

Die Kontrolle wird fortgesetzt. Nach immer demselben Muster. Erst wird das Prüfobjekt – ob Baustelle oder Restaurant – umstellt, dann wird es durchsucht. Jeder muss sich ausweisen. Personalien werden auf einem Erfassungsbogen notiert. Über Datentelefon können die Leute von der FKS einen Abgleich sowohl mit dem Ausländerzentralregister als auch mit dem Verband der deutschen Rentenversicherungsträger machen. "Was nicht an Ort und Stelle überprüft werden kann, wird später im Büro gecheckt", sagt Weidig.

In einem griechischen Lokal steht ein Inder vor einem Fleischstrang und schneidet mit einem langen Messer Filets. Die Überprüfung seines Namens via Mobiltelefon bei der Hamelner Polizei und der Hamburger Sozialbehörde ergibt: Der Mann ist ein abgelehnter Asylbewerber. Der in Deutschland bis zu seiner Abschiebung geduldete Asiate wohnt auf einem Schiff in Hamburg, hätte die Hansestadt nicht verlassen dürfen. Die Zollfahnder haben also einen Ausländer ertappt, der Sozialleistungen kassiert und als Schwarzarbeiter in einer Küche schafft. Das ist Leistungsbetrug. "Nein, nein", wehrt der Inder ab. "Ich habe mich nur mit Landsleuten über die Schönheiten meiner Heimat unterhalten." Wer's glaubt ...

Märchen aus Tausendundeiner Nacht hören die Leute vom Zoll immer wieder. Wer nicht ordnungsgemäß angestellt ist, leistet Freundschaftsdienste.

"Aufgrund meiner Erfahrungen fällt es mir schwer, so etwas zu glauben", sagt Fahnder Andreas Scholz. Denn: "Von 100 Überprüften sind 80 Leistungsbezieher. Und 78 von 80 behaupten, sie würden für Luft und Liebe arbeiten."

16 Uhr: Ende der Kontrollaktion. Lothar Weidig, der Chef der Truppe, zieht Bilanz. 63 Personen wurden angetroffen, vier hatten keine Arbeitserlaubnis, fünf gingen schwarzarbeiten und kassierten nebenbei Sozial- oder Arbeitslosenhilfe.

"Wir kommen wieder – keine Frage", sagt Weidig. "Früher oder später kriegen wir jeden."

11./12.09.2004
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