Lippische Landes-Zeitung ,
08.09.2004 :
Zwischen Tradition und Moderne / Stadtgeschichtliches Projekt in Detmold widmet sich dem Ersten Weltkrieg und der Weimarer Zeit
Detmold. Kontinuitäten und Brüche prägen die Geschichte, zeichnen Wege vor oder führen doch zu neuen Wendungen. Sie können sich auch überlagern. Das 5. stadtgeschichtliche Projekt in Detmold und eine begleitende Fotoausstellung befassen sich mit einer Zeit dieser Kontinuitäten und Brüche: Der Periode zwischen Ausbruch des Ersten Weltkriegs und Machtübernahme der Nazis.
Schon der Projekttitel verrät die erste Kontinuitätslinie: Detmold 1914 bis 1933 ist das Vorhaben überschrieben. Bewusst haben Dr. Hermann Niebuhr vom Staatsarchiv und Stadtarchivar Andreas Ruppert diese Einteilung gewählt. Sie wollen damit nicht nur an das voran gegangene Projekt anknüpfen, sondern weg von gängigen Periodisierungen, die die Zäsur im Revolutionsjahr 1918 markieren, sondern stattdessen Linien zeigen, die vorher ansetzen. Zum Beispiel beim Ersten Weltkrieg, dessen Beginn sich in diesem Jahr zum 90. Male jährt. "Er ist die Urkatastrophe des Jahrhunderts und die Bedingung für das Folgende", beschreibt Ruppert.
Was im Großen gilt, gilt auch im Kleinen: Große Kriegsbegeisterung, so die Historiker, habe es in Detmold 1914 nicht gegeben, wie auch sonst im Reich zumeist nicht. Dabei habe sich der Krieg auch hier nieder geschlagen - nicht nur durch Gefallene, auch durch immer schlechtere Versorgungslage, durch Verletzte im Lazarett, durch ein großes Unglück in einer Munitionsfabrik, bei der 72 Menschen starben, 62 davon junge Frauen.
Nur weil Fotos fehlen, heißt das nicht, dass nichts passiert ist
Mit 1918 wurde in Detmold nicht alles anders. Tiefgreifende Strukturveränderungen in der Gesellschaft und der Wirtschaft vermag Ruppert zum Beispiel nicht zu erkennen. Gleichzeitig habe es aber auch schon 1917 erste Demokratisierungsversuche in Lippe gegeben, wirft Niebuhr ein. Ein Fingerzeig auf einen Bruch, der 1918 einsetzte, als Heinrich Drake die hochrangigen konservativen Beamten durch neue Kräfte ersetzte, nachdem der Arbeiter- und Soldatenrat die Regierung unblutig übernommen hatte.
Kontinuität und Bruch agieren auch auf ganz anderen Ebenen. Die Referendare Ragna Boden, Christine Mayr, Thomas Schwabach und Christoph Schmidt haben das während ihrer Arbeit an einer Fotoausstellung erfahren, die das Projekt begleiten wird. Aus tausenden Bildern aus den Sammlungen des Staatsarchivs und des Instituts für Lippische Landeskunde haben sie 80 historische Aufnahmen ausgewählt, die Detmold zwischen 1914 und 1933 widerspiegeln sollen.
Die angehenden Archivare, die einen Teil ihrer Ausbildung in Detmold absolvieren, wollen Kultur, Wirtschaft, Politik, Alltagsgeschichte, Persönlichkeiten und Stadtentwicklung Detmolds zeigen. "Bestimmte Bereiche sind ausführlich dokumentiert, andere weniger", sagt Schmidt. Das ist zum einen der technischen Entwicklung der Fotografie geschuldet, die erst in den 20er Jahren langsam für jederman handhabbar wurde, zum anderen aber auch der Fragestellung, was fotografierenswert ist.
Wir sind es heute gewöhnt, dass die Kamera überall zur Stelle ist. Aber für Alltagsaufnahmen scheint es vor rund 90 Jahren kaum Interesse gegeben zu haben. Oder aber sie sind nicht gesammelt worden. Denn auch die Einschätzung, was aufbewahrt werden sollte und was nicht, hat sich verändert, wie Archivar Dr. Hermann Niebuhr weiß. "Nur weil es keine Fotos gibt, heißt das nicht, dass nicht etwas passiert ist."
Hermannsdenkmal dient immer wieder als Treffpunkt
Wahre Glücksfälle sind da Aufnahmen aus der Familie Felix Fechenbachs, die eine traute Gemeinschaft zeigen - ein Jahr vor der Ermordung des Journalisten. Die Bereitschaft zur Dokumentation alltäglicher und politischer Ereignisse wächst erst gegen Ende der Weimarer Republik, korrespondierend mit der Menge an Fotos überhaupt, wie die Referendare festgestellt haben. Während sich daran langsame Veränderungen zeigen, bringen andere Aufnahmen gleich in einem Bild Kontinuität und Bruch zusammen. Thomas Schwabach nennt ein Beispiel: Das Gruppenfoto der Belegschaft einer Keksfabrik aus den 20er Jahren. Mittendrin der Firmenpatriarch im Kreise seiner Angestellten, die zweifellos wie eine Familie wirken sollen.
Ein Bild, das tradierte Vorstellungen zeigt und zeigen soll, das aber ungewollt auch die neue, frechere Mode der Frauen als Signal der Moderne mitbringt. "Ein triviales Bild, das tiefe Einblicke zeigt", resümiert Ragna Boden.
Fotografiert wurde zwischen erstem Weltkrieg und Nazi-Zeit in Detmold sehr viel Zeitloses. Woran zu sehen sei, dass die Stadtentwicklung in dieser Zeit kaum Fortschritte gemacht habe, wie Christine Mayr sagt. Also Kontinuität des Stillstands statt Bruch der Moderne.
Und noch etwas zeigt Kontinuität: Das Hermannsdenkmal dient über die Jahre als zentraler Versammlungsort. "Wobei sich dort zumeist rechte Gruppierungen treffen, während die linken bis liberalen in der Stadt bleiben", sagt Thomas Schwabach. Zur Fotoausstellung, die ab Mitte Oktober im Staatsarchiv zu sehen sein wird, werden die vier Referendare auch eine Broschüre herausgeben, in der die Fotos quellenkritisch in den Gesamtzusammenhang eingeordnet werden sollen. Beides, Schau wie Info-Heft, wird den Titel tragen: "Eine Stadt im Bild: Leben in Detmold 1914 bis 1933."
Alle vier Referendare kommen nicht aus Lippe und so haben sie einige lippische Spezialitäten in der historischen Entwicklung entdeckt. Zum Beispiel, dass Industrialisierung, strukturelle Verschiebungen und Verkehrswesen gegenüber anderen Regionen zurückhinkten. Es soll Leute geben, die behaupten, das wäre noch heute so.
Stichwort / Das Projekt
Seit 1989 werden in Detmold stadtgeschichtliche Projekte behandelt, zuletzt ging es um Detmold um 1900. In diesem Winterhalbjahr werden 14 Referenten verschiedene Aspekte aus der Zeit zwischen 1914 und 1933 beleuchten: Vom Kriegsalltag über Heinrich Drake und sozialhistorische Themen bis hin zur Wirtschaftsstruktur Detmolds. Den Eröffnungsvortrag hält Professor Dr. Peter Steinbach am 18. November zum Thema "Detmold - eine Residenzstadt im politischen Umbruch - Entwicklungen und Herausforderungen". Die Vortragsreihe wird angereichert durch fünf Filmvorführungen mit wichtigen Filmen zum Zeitraum: Von "Im Westen nichts Neues" bis hin zu "M - eine Stadt sucht einen Mörder". Gezeigt wird auch noch einmal der Film aus den Detmolder Temde-Werken. Zum Abschluss sollen die Erkenntnisse in einem Buch publiziert werden.
detmold@lz-online.de
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