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Lippische Landes-Zeitung , 08.09.2004 :

Gedanken aus Aserbeidschan / Günay Muradova schreibt aus Baku

Baku/Detmold. Seit Ende Juni lebt Günay Muradova wieder in Baku, Aserbeidschan. Wie in der LZ berichtet, musste die 19-Jährige nach vierjährigem Aufenthalt in Deutschland und abgelehnten Asylanträgen ihrer Familie zurückkehren - zumindest jedoch mit einem Schulabschluss des Leo in der Tasche, um den wochenlang öffentlich gerungen worden war. Trotz der Ungewissheit hatte sich die junge Frau, die als Berufswunsch "Journalistin" angibt, optimistisch in ihrem letzten Gespräch vor der Abreise geäußert und wollte für die LZ aus ihrer alten Heimat berichten. Doch die Bedingungen in Aserbeidschan sind nicht die einer Industrienation. Erst jetzt erreichte die Redaktion eine E-Mail. Gedanken:

"Was für ein Gefühl ist es, deine besten Freunde verlassen, deine bisherigen Ziele aufgeben und dich in die Unwissenheit stürzen zu müssen? Erst kommt dir alles vor wie ein schrecklicher Traum … Du versuchst durch Zwinkern wieder in der Wirklichkeit zu landen … Immer und immer wieder, was leider nicht klappt. Es fühlt sich so an, als wäre die ganze Last der Welt auf deine Schultern gelegt worden, auch nicht für eine Minute kannst du alles vergessen, in der Angst, es könnte noch schlimmer werden.

Du fühlst die Ungerechtigkeit, siehst die Menschen, die mit allen Kräften dir zu helfen versuchen. Die Helfer in der Situation kannst du eigentlich als die echten Freunde betrachten, was aber schmerzhaft ist: Du erhältst nicht die Gelegenheit, diese Freundschaften auch zu behalten.

Du musst weg, die bleiben in Deutschland. Ungerecht, sogar deine Familie wird zerstört und zerlegt. Du verlierst den Kopf, weißt nicht worüber du dich eigentlich sorgen solltest, um dich oder die Familie?

Die vielen Fragen kommen auf: Warum trifft diese Situation mich? Es gibt keine gesetzliche Möglichkeit, das Geschehene zu korrigieren. Du erkennst, was Schmerz ist, es zerfrisst dich innerlich, auch wenn es dir nicht anzusehen ist.

Wenige Tage später kommt die Stunde der Wahrheit: Tag der Abreise. Deine Freunde sind bei dir, aber bist du dir sicher, dass du sie wiedersehen wirst? Du weißt doch eigentlich nicht, was dich erwartet! Gut, es waren ja nur vier Jahre in Deutschland, sagen einige, es gibt Menschen, die nach zwölf Jahren abgeschoben werden. Nur ist es eine Frage der Integration: Ja, es waren vier Jahre, aber die haben wahrscheinlich deine persönlichen Einstellungen bestimmt.

Du kann nicht denken wie eine 19-jährige Aserbaidschanerin, auch wenn du es willst, du denkst zu 80 oder 90 Prozent deutsch. Die sind der Grund, der deine Rückkehr um einiges erschwert."


detmold@lz-online.de

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