Lippische Landes-Zeitung ,
04.09.2004 :
Ein Koffer voller Erinnerungen / Der Blomberger Wilhelm Tegt bewahrt noch immer ein besonderes Relikt seiner Kriegsgefangenschaft
Von Cordula Gröne
Blomberg. "From Wilhelm Tegt, Gefr., 527973 Fort Jackson, S.C." steht in weißer Schrift auf dem Holzkoffer. Seit 57 Jahren ist er im Besitz des Blombergers und erinnert an eine Zeit, die zwar lange vergangen, aber längst nicht vergessen ist. Der 77-Jährige hat viele Details an seine Zeit als Soldat im Zweiten Weltkrieg noch vor dem geistigen Auge parat. Positives kann er von seinem Aufenthalt als Kriegsgefangener in den USA schildern, von wo aus er 1947 den Koffer in die Heimat schickte.
Vorausgegangen waren schlimme Kriegserlebnisse, von denen Wilhelm Tegt heute noch Alpträume geblieben sind. Als 17-Jähriger wird er zum Arbeitsdienst eingezogen, am 26. Juni in Cherbourg/Normandie in Gefangenschaft genommen. "Wir waren mitten in der Stadt auf dem Präsentierteller und konnten nur noch in Gefangenschaft gehen oder ins Wasser springen", schildert der Blomberger. Von Cherbourg geht es mit dem Schiff über London ins Lager Conry nach Schottland. "Von da aus konnten wir Karten nach Hause schreiben, dass wir dem Inferno entkommen sind", erzählt Tegt. Im August fährt die Queen Mary I. von Glasgow mit Tegt in fünf Tagen über den Atlantik. "Zwei Stunden konnten wir jeden Tag auf das Promenadendeck kommen", erinnert er sich an das schöne Kreuzfahrtschiff. "Nach langer Zeit gab es etwas zum Sattessen, es war für uns unvorstellbar."
In New York angekommen, bringt ein Pullmannzug die Kriegsgefangenen nach Süden. "Eine Stunde, nachdem sich der Zug in Bewegung gesetzt hatte, gab es eisgekühlten Kakao und Rührei", schwärmt der 77-Jährige von der Luxusbahn und der guten Behandlung. "In Deutschland wurde das Landservolk in Viehwaggons transportiert", macht er den Unterschied deutlich.
Die Fahrt endet im August 1944 in Fort Jackson, South Carolina. Eine riesige Zeltstadt ist hier aufgebaut, in der später bis zu 1000 Kriegsgefangene unterkommen. Wilhelm Tegt zeigt seinen Personalbogen von damals, auf dem er zehn Fingerabdrücke machen musste. "Ohne diesen kam keiner vors Tor zur Arbeit." Er arbeitet auf einer Ziegelei, in der Landwirtschaft und danach fast ein Jahr als Waldarbeiter. "Wir hatten weiße Bettwäsche, die alle zwei Wochen gewaschen wurde", erinnert er sich an eine der Annehmlichkeiten. Schweinebraten, Kartoffeln, Kuchen, Brot - Hunger brauchen die Gefangenen nicht mehr zu leiden, und sie dürfen sich bis zu acht Meilen außerhalb des Lagers frei bewegen.
Nach den vielen Monaten harter Entbehrung kann der junge Tegt gar nicht fassen, wie gut er hier behandelt wird. "Ich war auf der Sonnenseite in Gefangenschaft", ist er sich wohl bewusst, dass es vielen nicht so gut ging. Der Lager-Zahnarzt ist ein polnischer Jude. "Du haben eine sehr gute Gebeiß", radebrecht er mit Tegt. "Der hätte uns sonst was sagen können, aber er hat uns tolle Gebisse gemacht", wundert sich der Blomberger noch heute über die Freundlichkeit, mit denen der Arzt den Deutschen begegnete.
Besonders aber hat ihm der Lagerkommandant imponiert, ein Amerikaner aus Köln, der später als Dolmetscher an den Europäischen Gerichtshof ging. Captain Strohecker, so hat Tegt den Namen in Erinnerung, sorgte dafür, dass jeder Gefangene einen Holzkoffer zu seinen Angehörigen schicken durfte, gefüllt mit Zigaretten, Handtüchern und Seife. Die Eltern zu Hause konnten damit tauschen. Vater August Tegt, damals von Beruf Stadtbote, schätzte aber auch den Duft: "Morgens roch das ganze Rathaus nach amerikanischer Seife", hat der Sohn erfahren. Die Koffer hatten Tischler unter den Gefangenen angefertigt.
Heimweh habe er eigentlich nicht gehabt. "Schlimm waren aber doch die Feiertage und besonders Weihnachten", erinnert sich Wilhelm Tegt. Während einer Feier erzählte ein Berliner, wie er ein zusammenklappbares Harmonium ins Lager bringen konnte: "Der Yankee sagte: ,No, icke verstand jo'." Der Lagerkommandant ließ keine Bestrafung folgen.
Von seinem eigenen Kompanieführer spricht Wilhelm Tegt in höchsten Tönen: "Der hätte unser Vater sein können." Dem Frankfurter seien vor Dankbarkeit Tränen über die Wange gelaufen, als er während einer Weihnachtsfeier einige Worte an "seine" Soldaten gerichtet habe. Der ehemalige Gefreite ist heute noch darüber gerührt.
Mit 21 Jahren kann Wilhelm Tegt seine Familie endlich wieder in die Arme schließen. Er heiratet später eine ehemalige Klassenkameradin.
04./05.09.2004
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