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WebWecker Bielefeld ,
25.08.2004 :
Demo am Nicht-Ort
In Bramsche bei Osnabrück startete am Wochenende die Anti-Lager-Action-Tour. Etwa 500 Demonstranten protestierten gegen die dortige "Landesaufnahmestelle" für Asylbewerber.
Von Mario A. Sarcletti
Bramsche bei Osnabrück ist eine Kleinstadt mit 30.000 Einwohnern. Verlässt man den kleinen Ortsteil Hesepe Richtung Emsland, kommt erst der Sportplatz, dann das Ortsschild, dann lange nichts. Nach etwa einer Viertelstunde Fußmarsch weist ein Schild den Weg über eine lange Zufahrt zur "Landesaufnahmestelle". Die Einrichtung in der niedersächsischen Provinz nennen Flüchtlingsinitiativen einen "Nicht-Ort", einen Ort "des Draußen für die, die draußen bleiben sollen auch im Inneren des Landes", wie es im Aufruf zur "Anti-Lager-Action-Tour" heißt.
Neben Bramsche, wo ein Camp und eine Demonstration den Auftakt der Tour markierten, werden antirassistische Initiativen bis 5. September weitere Nicht-Orte, nämlich Ausreisezentren und Abschiebegefängnisse, von Neuss bis Eisenhüttenstadt besuchen. Dort wollen sie gegen Ausgrenzung, Abschiebung und die Residenzpflicht von Flüchtlingen, die denen das Verlassen des Landkreises ohne Genehmigung untersagt, protestieren.
Der "Nicht-Ort" bei dem Örtchen Bramsche-Hesepe ist eine ehemalige Kaserne, seit dem Jahr 2000 dient sie als Lager für Asylbewerber, denen die Behörden aufgrund ihrer Herkunft nur geringe Chancen auf eine positive Entscheidung über ihren Asylantrag prognostizieren. Sie kommen aus nach Ansicht der Verantwortlichen Ländern, in denen keine staatliche Verfolgung herrscht, wie etwa Irak oder Afghanistan. Mehr als fünfhundert Menschen können auf dem Gelände untergebracht werden, seit in diesem Jahr die Zahl der Plätze in Hesepe aufgestockt wurde. "Hier steht eines der größten Abschiebelager Europas, Bramsche gelangt damit zu trauriger Berühmtheit", ruft ein Sprecher den Hesepern zu und fordert sie auf, sich für die Schließung der "Landesaufnahmestelle" einzusetzen.
Die sehen aber nicht so aus, als ob ihnen der Sinn nach Widerstand steht. Aus sicherer Entfernung betrachten sie argwöhnisch etwa 500 Menschen, wie sie sie in ihrem kleinen Gemeinwesen wohl noch nicht gesehen haben. Punks, Autonome und Angehörige antirassistischer Initiativen sind es, die sich mittags vor dem winzigen Bahnhof von Hesepe versammeln, kritisch beäugt von Einsatzkräften der Polizei, die die friedliche Demonstration auf Video dokumentieren. "Prophylaktisch", wie ein Beamter sagt. Unter den Demonstranten sind auch viele Flüchtlinge, auch welche aus anderen Bundesländern. Sie wirken kämpferisch, wollen sich nicht in ihr Schicksal fügen. In einem Wechselgesang thematisieren sie ihre Lebenslage, aus dem afrikanischen Englisch sind Worte wie "Polizei", "Duldung", "Ausweis" oder "Gutschein" herauszuhören.
Einige der Flüchtlinge im Demonstrationszug wohnen in der ehemaligen Kaserne am Ortsrand. Einer von ihnen ist Sergej (Name geändert) aus dem Kaukasus. Vor elf Monaten kam er nach Deutschland, eher zufällig, wie er sagt, seit einem halben Jahr ist er in Hesepe einquartiert. "Ein Mensch kann da nicht leben, das ist wie im Gefängnis", klagt der ehemalige Buchhalter, der seit seinem Asylantrag bei der Einreise nichts mehr von den zuständigen Behörden gehört hat.
Er kritisiert die schlechte medizinische Versorgung, die in den vergangenen Wochen einer der Auslöser für drei Protestaktionen der Bewohner waren. Für die fünfhundert Menschen gibt es nur eine Sanitätsstation mit einer Krankenschwester, zwei Mal in der Woche kommt ein Allgemeinmediziner. Die Bewohner beklagen, dass bei Erkrankungen meist nur das Schmerzmittel Paracetamol verabreicht wird. "Eine Frau bekam das wegen Schmerzen in der Lunge, nach zwei Monaten haben sie im Krankenhaus dann Tuberkulose festgestellt", erzählt Sergej.
Er berichtet auch, dass es in der Landesaufnahmestelle immer wieder zu Selbstmordversuchen kommt. "Vor ein paar Tagen hat ein Mann versucht sich und seinen Sohn umzubringen, er hat überlebt und liegt jetzt auf der Krankenstation", sagt Sergej. Hildegard Winkler von Avanti, einem Osnabrücker Verein für Bildungsarbeit, der Camp und Demonstration mitorganisierte, wundert der Vorfall nicht. "Viele sind durch die Flucht traumatisiert und ständig von Abschiebung bedroht", beschreibt sie die psychische Verfassung der Bewohner der Landesaufnahmestelle. Die Situation dort verschlechtere die noch. Bis zu fünf Personen sind in einem Zimmer untergebracht, neben fünf Quadratmetern Wohnfläche stehen den Flüchtlingen 40 Euro Taschengeld pro Woche zur Verfügung, Arbeit ist den meisten untersagt. Von dem Taschengeld sollen sie nicht nur ihre persönlichen Bedürfnisse abdecken, auch Fahrt- oder Anwaltskosten für das Asylverfahren sollen davon bezahlt werden. Eine Rechtsberatung gibt es in dem Lager nicht, dafür eine Stelle des Ausländeramtes. Flüchtlingsinitiativen sehen in ihr einen weiteren Versuch, die Flüchtlinge von der deutschen Gesellschaft abzuschotten.
Auch die 150 Kinder, die in dem umzäunten Gelände leben, müssen es nicht verlassen. Seit März diesen Jahres gibt es Förderklassen, Kritiker sprechen von einer Lagerschule, in denen sie offiziell auf eine Regelschule vorbereitet werden sollen. Ob sie die aber jemals besuchen werden, hängt nicht von ihren sprachlichen oder schulischen Fähigkeiten sondern von der Prognose über die Aufenthaltsdauer ab. Die ist meist ungünstig, schließlich ist die freiwillige Ausreise der Flüchtlinge das Ziel der Aufnahmestelle.
Sergej berichtet, dass die Bewohner bei Verlängerung ihrer einmonatigen Duldung regelmäßig bedrängt würden, schriftlich zuzusichern Deutschland zu verlassen. Trotz der schlechten Lebensbedingungen im Lager und Druck auf die Flüchtlinge ist das Konzept nach Angaben von Avanti jedoch nicht sonderlich erfolgreich: 19 Menschen seien freiwillig ausgereist, 30 per Abschiebung unfreiwillig. 84 Flüchtlinge hätten hingegen den Gang in die Illegalität der Ausreise und dem Aufenthalt im Lager vorgezogen, berichtet Avanti.
Auch Sergej würde keinesfalls in seine Heimat zurückgehen. "Ich würde sofort ins Gefängnis gesteckt und dort würden sie mich umbringen", fürchtet er. Die Demonstration findet er gut. "Es ist angenehm zu merken, dass sich jemand für uns interessiert", freut er sich über die Demonstranten. Als die an dem Gelände eintreffen, droht die Situation für einen kurzen Moment zu eskalieren, als einige sich am Zaun zu schaffen machen. Ihr als Sprechchor formuliertes Vorhaben, "Bewegungsfreiheit auf allen Wegen, wir werden jetzt den Zaun zerlegen", wird jedoch von berittener Polizei und Beamten mit Helm und Schlagstock vereitelt. Nach einer Kundgebung machen sich die Demonstranten auf den Weg zum Bahnhof oder ins Camp in der Nähe der Landesaufnahmestelle.
Vorher versprechen sie wiederzukommen und die Proteste fortzusetzen, bis das Lager geschlossen wird und seine Bewohner dezentral in Wohnungen untergebracht werden. Sie hoffen, dass sich beim nächsten Mal noch mehr Bewohner der Landesaufnahmestelle an einer Demonstration beteiligen. Die seien diesmal massiv eingeschüchtert worden, meint eine Rednerin. Sergej bestätigt das: "Uns wurde gesagt, dass da Nazis kommen würden um uns zu verprügeln." Die Lagerleitung habe aber nicht nur auf Angst gesetzt, um die Flüchtlinge von der Demonstrationsteilnahme abzuhalten. Sie lockten sie, so Sergej, mit einem Papier vom Ort des Geschehens weg, das sonst nur schwer zu erhalten ist: Der Genehmigung den Landkreis für das Wochenende zu verlassen.
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