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Neue Westfälische , 25.08.2004 :

Stolperstein für Stolperstein / In Ostwestfalen beteiligen sich vier Städte an Gunter Demnigs dezentralem Mahnmal

Von Manfred Strecker

Bielefeld/Bünde/Gütersloh/Höxter/Oerlinghausen. Abgeholt, deportiert, in Konzentrationslagern ermordet – nicht wenig erinnert heute nach Jahrzehnten des Verschweigens daran, was Juden, Sinti und Roma, Religiöse, Homosexuelle oder politische Gegner der Nazis erlitten. Gedenkstätten in Auschwitz, Berlin oder Buchenwald sind dem Bildhauer Gunter Demnig aber nicht genug. "Das Grauen hat hier in den Städten, bei der Abholung aus der Wohnung begonnen."

Daran setzt Demnigs einzigartiges Erinnerungs-Projekt der "Stolpersteine" an. Zehn mal zehn Zentimeter misst die auf einem Pflasterstein aufgebrachte Messingplatte. Eingraviert sind nach der Wendung "Hier wohnte ... " wenige, alles besagende Daten – Name, Geburtsdatum, Zeitpunkt der Deportation, Ort und Datum der Ermordung, falls bekannt. Demnig lässt den Stein in den Gehweg vor dem ehemaligen Wohnhaus oder einem späteren Neubau ein.

Bielefeld ist vergleichsweis spät dran

Dass die aus Minden stammende jüdische Schriftstellerin Josefa Metz von der Detmolder Straße 4 den Weg ins Ghetto Theresienstadt nehmen musste oder das KPD-Mitglied Heinrich Homann vom Ortsschmiedweg 33 in Dortmund hingerichtet wurde, daran werden Demnigs Stolpersteine voraussichtlich ab Frühjahr 2005 in Bielefeld erinnern. Zehn Paten haben sich auf Initiative der Bielefelder Ortsgruppe der Frauenvereinigung "Zonta Club" bereits gefunden, 95 Euro kosten Herstellung und Verlegung eines Stolpersteins. Oberbürgermeister Eberhard David unterstützt das Projekt.

Doch Bielefeld ist vergleichsweise spät dran. Nach Auskunft von Demnigs Projektkoordinator, dem Hamburger Kunsthändler Peter Hess, wurden bislang mehr als 4.000 Steine in 34 Städten verlegt, von weiteren elf liegen Zusagen und Genehmigungen vor.

In Ostwestfalen-Lippe hatte Bünde 2003 den Anfang gemacht, jetzt im Mai war Demnig dort bereits zum zweiten Mal am Werk; aus einem Schulprojekt der Gymnasiallehrerin Christina Whitelaw war die Initiative dazu hervorgegangen. Ratsbeschlüsse für "Stolpersteine" liegen in Höxter und in Gütersloh vor. In Oerlinghausen tut man sich eher schwer nach einem Antrag der "Grünen" vor einem Jahr. Im Mai berichtete die beauftragte Stadtverwaltung, Namen und ehemalige Wohnsitze der Opfer der Nazi-Verfolgungen seien in der "Bergstadt" nur schwer auszumachen.

Als erste ausländische Stadt will Kopenhagen Stolpersteine legen

Stein für Stein kommt Demnig seinem Wunschtraum entgegen, mit den "Stolpersteinen" ein "großes dezentrales Mahnmal, das sich als begehbare Skulptur in ganz Europa wieder zusammenfügt", zu errichten, wie er in einem jüngst im Kunstforum veröffentlichten Interview erklärte. Nun ist ihm auch der Sprung über die Grenzen geglückt. Im kommenden Jahr will als erste außerdeutsche Stadt Kopenhagen 21 "Stolpersteine" ins Pflaster senken lassen.

Nach allen Erfahrungen Demnigs ist das Konzept wirkungsvoll. Die "Stolpersteine" erregen Anstoß, veranschaulichen, dass sich hinter den Zahlen der Deportationen tatsächlich Menschen verbergen, die einst um die Ecke gewohnt haben. Manche Hausbesitzer, deren Eltern das Gebäude durch sogenannte Arisierung erworben haben, reagieren verärgert. In Hamburg wollten Ärzte nicht andauernd ihren Patienten Rechenschaft geben, wenn diese, von Stolpersteinen angeregt, Fragen stellten.

Selbst eine Großstadt wie München tut sich schwer. Im Mai ließ der Stadtrat die ersten "wild" verlegten Steine in Bogenhausen auf den jüdischen Friedhof versetzen – an einen Ort, wo man, anders als den "Stolpersteinen" mitten im Alltag, der Erinnerung ausweichen kann.

Demnig will Zeichen setzen, "die Antworten muss sich der Betrachter selber erarbeiten".


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