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Herforder Kreisanzeiger / Neue Westfälische , 10.10.2003 :

Verpflichtung gegenüber Hippokrates

Zum Artikel "Protest hörbar gemacht" vom 6. Oktober schreibt ein Leser:

Im April 2002 wurde Mehmet Demir aus Löhne verhaftet und ins Abschiebegefängnis Büren eingeliefert, weil er 18 Jahre alt geworden war. Sehr viele Bürger aus Stadt und Kreis Herford protestierten damals gegen diese Maßnahme.

Das Oberverwaltungsgericht Münster fand drei Wochen später den "juristischen Schlüssel", der das Tor des Abschiebegefängnisses für den jungen Kurden wieder öffnete. Das Schlüsselwort hieß "Beistandsgemeinschaft", die zwischen Mehmet, seinem kranken Vater Ömer und dem jüngeren Bruder Ali besteht und durch das Grundgesetz geschützt ist. An dieser Situation hat sich aus unserer Sicht bis heute nichts geändert.

Bezüglich der Krankheit des Vaters lagen mehrere Atteste und Gutachten vor, auch aus dem Gesundheitsamt des Kreises Herford. Danach war Herr Ömer Demir nicht reisefähig.

Aus uns nicht bekannten Gründen wurde Seitens der Behörden ein weiteres Gutachten veranlasst. Als Gutachter hatte man einen aus der Türkei stammenden Arzt bestellt, der in der Nähe von Lippstadt tätig ist. Dieser Arzt ist dafür bekannt, dass er sich gegenüber Kurden nicht neutral verhält. Aus ärztlicher Sicht ist das ein Skandal; angemessene Schritte bei der zuständigen Ärztekammer sind in Vorbereitung.

Im IPPNW-Arbeitskreis Flüchtlinge/Asyl beschäftigen wir uns seit langem mit Qualitätsstandards und Bedingungen für Gutachten, die Aufschluss über Psychotraumatisierungen (schwere seelische Verletzungen) und durch diese entstandene Gefahren bei Flüchtlingen, letztlich über die "Ausreisefähigkeit" geben sollen. Das jüngste Gutachten genügt diesen Anforderungen in keiner Weise. Trotzdem wurde es unter Missachtung aller vorangegangenen Fachgutachten zur Grundlage der geplanten Abschiebung von Ömer und Ali Demir.

Die Innenminister des Bundes und der Länder suchen intensiv nach "willigen" Ärzten, die schlicht die "Flugreisetauglichkeit" bescheinigen, ohne nach den Regeln der ärztlichen Ethik (Hippokratischer Eid, Berufsordnung) die vorliegende Krankheit ernst zu nehmen, und ohne die im Herkunftsland zu erwartende Gesamtsituation eines kranken Flüchtlings angemessen zu berücksichtigen. Leider gibt es, wie man sieht, schon solche Ärzte.

Wir bitten die zuständigen Behörden, das unqualifizierte Gutachten zu verwerfen und die Demirs aufgrund der fortbestehenden Beistandsgemeinschaft weiterhin mit Bleiberechten auszustatten.

Dr. med. W. Eisenberg
Kinderarzt, Herford
Mitglied des Bundesvorstandes
der IPPNW/Ärzte
in sozialer Verantwortung


lok-red.herford@neue-westfaelische.de

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