Herforder Kreisanzeiger / Neue Westfälische ,
10.10.2003 :
Fitim fährt nicht allein nach Minden / Eine Grundschulklasse begleitete ihren neunjährigen Mitschüler und dessen Familie zum Gericht
Herford/Minden (hab). Begleitet von einigen Eltern machte sich gestern eine vierte Klasse der Grundschule Stiftberg auf den Weg nach Minden. Die Kinder wollten ihren Mitschüler Fitim und dessen Familie nicht allein zum Verwaltungsgericht gehen lassen. Dort ging es darum, ob Fitim in der Klasse bleiben darf. Oder ob er weg muss.
Fitims Familie kommt aus dem Kosovo, lebt aber seit 13 Jahren in Deutschland. Er und seine beiden Geschwister sind hier geboren und aufgewachsen, sprechen gut Deutsch, gehen hier zur Schule - ein anderes Land kennen sie nicht.
"Wir müssen hier weg", hatte Fitim seinen Mitschülern vor einigen Monaten erzählt. "Weil wir nicht Deutsch sind." Die Kinder erzählten zu Hause darüber. Eltern fragten nach. Lehrerin Jutta Heckmanns griff das Thema auf. Die Klasse schrieb einen Brief an den Bürgermeister.
Und gestern begleiteten sie den Mitschüler ans Verwaltungsgericht Minden. Dort wurde eine Klage von Vater Dervishi gegen die Bundesrepublik Deutschland verhandelt. Dervishi hatte, schon zum drittenmal, vergeblich einen Antrag auf politisches Asyl gestellt. Das Kosovo gilt den deutschen Behörden nicht mehr als Land, in dem politische Verfolgung durch den Staat droht. So sollen Menschen, die während des Bürgerkrieges in Deutschland vorübergehend als Flüchtlinge aufgenommen wurden, dorthin zurück geschickt werden.
Der Richter in Minden sollte nun überprüfen, ob der Asylantrag der Familie Dervishi zu Recht abgelehnt worden ist. "Für die Kinder war es so etwas wie lebendige Staatsbürgerkunde", berichtet Lehrerin Heckmanns. Sie hatten das Glück, dass der Richter sich Zeit nahm und ihnen geduldig die Rechtslage schilderte. Seine kleinen Zuhörer erfuhren, was das Recht auf Asyl bedeutet, welche Aufgaben das Gericht hat - und welche das Ausländeramt. Seine Botschaft: Politisches Asyl für die Dervishis ist derzeit nicht möglich; aber es könnte ausländerrechtliche Gründe gegen eine Abschiebung geben. Darüber hätte dann zunächst die Stadt Herford, genauer: das dortige Ausländeramt, zu befinden.
"Die Kinder waren mucksmäuschenstill", wunderte sich Dr. Winfrid Eisenberg vom Herforder Kinderschutzbund, der die Gruppe begleitet hatte. Sie haben nicht alles verstanden, aber eines blieb hängen: Vielleicht darf Fitim doch bleiben. Die Kinder fänden das nur normal.
lok-red.herford@neue-westfaelische.de
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